Arthur Schopenhauer hat viel über das Leiden und über Askese nachgedacht und geschrieben.[i] Nun war er jedoch beileibe kein leidender „Proletarier“; eher kann man ihn einen „Patrizier“ nennen. Sein Biograph Gwinner schrieb sogar, er sei „für seine Person eingefleischter Aristokrat“ gewesen.[ii] Er war Bürger der Freien und Hansestadt Danzig. Nach dem Wegzug von dort hat er niemals mehr „eine neue Heimat erworben“.[iii]
Als er sich 1833 für fast dreissig Jahre lang in Frankfurt niederliess, tat er dies als „Permissionist“, als „Nichtverbürgerter“; Danzig blieb für Schopenhauer die „Urheimat“.[iv] Als Sohn eines „wohlhabenden Kaufmanns und Königlich polnischen Hofrats“, der von den Zinsen des von seinem Vater geerbten Vermögens gut lebte, konnte er sehr wohl grosszügig sein mit Angehörigen der „untersten Volksklasse“ und über Leiden und Askese philosophieren.[v]
Ob Schopenhauer wegen des Zerwürfnisses mit seiner Mutter und unter ihrer beider Entfremdung gelitten hat? Zu seinem Freund und „Erz-Evangelist“ Julius Frauenstädt (1813-1879) sprach er jedenfalls von seiner Mutter „mit geringerer Achtung und Anerkennung, als von seinem Vater“.[vi] Frauenstädt und Wilhelm Gwinner haben ausführlich über das schwierige Verhältnis zwischen Mutter und Sohn geschrieben.[vii]
Nach der „Entzweiung“ haben sich die beiden, nach Gwinner, „vom Mai 1814 bis zu dem am 17. April 1838 erfolgten Tode der Mutter nicht wieder“ gesehen.[viii]
Ein resignierter Eintrag in den Cogitata von 1832 könnte darauf hindeuten, dass der Philosoph unter der Nichtbeachtung seiner Werke gelitten hat: „Die gänzliche Nichtbeachtung, die mein Werk erfahren hat, beweist, daß entweder ich des Zeitalters nicht würdig war; oder umgekehrt. In beiden Fällen */ ist es angemessen, nichts ferner mehr herauszugeben /* heißt es jetzt: the rest is silence.“[ix]
Darüber haben wir in den Spicilegia berichtet: Im Juli 1846 besuchte Julius Frauenstädt Schopenhauer. Damals war die „zweite, durchgängig verbesserte und sehr vermehrte Auflage“ von Die Welt als Wille und Vorstellung bereits (1844) erschienen, aber — wie Frauenstädt schrieb — „so gut wie noch gar nicht ins Publikum eingedrungen“.
Nach Frauenstädt dauerte Schopenhauers „Periode des Unmuths“ von 1819 bis 1836; sie wurde „zu einem langjährigen Schweigen der Indignation“. Schopenhauers Erbitterung über die noch immer gegen ihn geübte „Taktik des Ignorirens und Sekretirens“ machte sich daher Frauenstädt gegenüber Luft; „wie er denn überhaupt immer wieder auf das Schicksal seiner Philosophie zu sprechen kam“.[x]
Wenig „menschenfreundlich“ tönt, was Frauenstädt noch weiter schrieb: „Schopenhauer zeigte nicht jene persönliche Würde, die man gewöhnlich mit dem Begriff eines Philosophen verbindet. Dies konnte ich nicht blos damals schon wahrnehmen, als er, wie ich oben erzählt, sein barsches Naturell gegen mich herauskehrte, so dass ich vorläufig meine Besuche bei ihm einstellte, sondern auch später noch aus manchen Zügen; und Alle, die ihn näher kennen gelernt haben, werden es bestätigen. Auch sein Ton in seinen Briefen und sein Ton gegen seine Gegner, die Philosophieprofessoren und dänischen Akademiker, ist nicht immer der würdige, den man von einem Philosophen erwartet und der z. B. bei Kant überall anzutreffen ist.“[xi]
Als ich zwischen 1983 und 1992 den über 700 Seiten umfassenden dritten Band des handschriftlichen Nachlasses von Arthur Hübscher durcharbeitete, strich ich die beiden folgenden Einträge dick an und schrieb am Ende an den Rand: „Da meint Schopenhauer sich selber!“ „Hätte wohl je irgend ein großer Geist sein Ziel erreichen und ein dauerndes Werk schaffen können, wenn er das hüpfende Irrlicht der öffentlichen Meinung, d. h. der Meinung kleiner Geister, zu seinem Leitstern genommen hätte? — Silber, Gold und gewöhnliche Edelsteine finden jeden Tag Käufer, daher man, mit ihnen versehn, nie in Noth geraten kann. Aber Edelsteine vom ersten Rang, die höchst selten und gewissermaaßen unschätzbar sind, finden auch nur selten einen Kenner, der sie zu schätzen weiß und nach ihrem vollen Werthe bezahlt, und wenn man sie nicht verschleudern will, kann man mit ihnen arm sterben, aber reiche Erben hinterlassen. — Ganz eben so werden kleine Talente sehr leicht erkannt, geschätzt und genutzt; hingegen die sehr großen, höchst seltnen, fast unschätzbaren Talente, finden sehr schwer einen Kenner, Schätzer, Belohner: ihre Werke gehn oft von der Mitwelt ungenossen auf die Nachwelt über.“[xii]
Die vortrefflichen und dauernden Werke beschäftigten Schopenhauer immer wieder, beispielsweise 1851 im Zweiten Band der Parerga und Paralipomena: „Honorar und Verbot des Nachdrucks sind im Grunde der Verderb der Litteratur. Schreibenswerthes schreibt nur wer ganz allein der Sache wegen schreibt. Welch ein unschätzbarer Gewinn würde es seyn, wenn, in allen Fächern einer Litteratur, nur wenige, aber vortreffliche Bücher existirten. Dahin aber kann es nie kommen, so lange Honorar zu verdienen ist. Denn es ist, als ob ein Fluch auf dem Gelde läge: jeder Schriftsteller wird schlecht, sobald er irgend des Gewinnes wegen schreibt. Die vortrefflichsten Werke der großen Männer sind alle aus der Zeit, als sie noch umsonst, oder für ein sehr geringes Honorar schreiben mußten. [...] — Der ganze Jammer der heutigen Litteratur in und außer Deutschland hat zur Wurzel das Geldverdienen durch Bücherschreiben. Jeder, der Geld braucht, setzt sich hin und schreibt ein Buch, und das Publikum ist so dumm es zu kaufen. Die sekundäre Folge davon ist der Verderb der Sprache.“[xiii]
Oder 1853 in den Senilia: „Ein glückliches Leben ist unmöglich: das höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf. Einen solchen führt Der, welcher, in irgend einer Art und Angelegenheit, für das Allen irgendwie zu Gute Kommende, mit übergroßen Schwierigkeiten kämpft und am Ende siegt, dabei aber schlecht oder gar nicht belohnt wird. Dann bleibt er, am Schluß, wie der Prinz im Re cervo des Gozzi, versteinert, aber in edler Stellung und mit großmüthiger Geberde stehn. On meurt les armes à la main. Sein Andenken bleibt, und wird als das eines Heros gefeiert; sein Wille, durch Mühe und Arbeit, schlechten Erfolg und Undank der Welt, ein ganzes Leben hindurch, mortificirt, erlischt in das Nirvana.“[xiv]
[i] Wagner: Register, S. 244, 22. D, 1, S. 317-487.
[ii] Gwinner, S. 541. Gwinner, 1910, S. 337.
[iii] GBr (1978), S. 648. Vgl. Wagner, Manfred: Reden und Vorträge, 2005-2013, Bad Hersfeld o. J., S. 309-402: Schopenhauer und Danzig.
[iv] Angelika Hübscher, S. 11, 39-41, 51.
[v] GBr (1978), S. 648. D, 1, S. 463.
[vi] GBr (1978), S. 328: Hochwürdiger Erz-Evangelist! Lindner, Frauenstädt, S. 207ff.Hübscher: Schopenhauer und „die Weiber“, S. 188-189. Gwinner, S. 129ff.
[vii] Gwinner, S. 129-139. Lindner, Frauenstädt, S. 207-210, 220-221.
[viii] Gwinner, S. 130.
[ix] Cogitata, S. 324. Lindner, Frauenstädt, S. 373-378.
[x] Spicilegia, S. 36. Lindner, Frauenstädt, S. 141-142, 373, 380.
[xi] Lindner, Frauenstädt, S. 262.
[xii] HN III, S. 71.
[xiii] D, 5, S. 545-546. Spicilegia, S. 530-531.
[xiv] Senilia, S. 59, 300. D, 5, S. 349.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.