Für Julius Frauenstädt, dem wir unter anderem den Band Briefe über die Schopenhauer'sche Philosophie (Leipzig 1854) verdanken, war Schopenhauer, “trotz seiner Schwächen, einer der edelsten Menschen, die je gewesen sind“, und dieser „Erz-Evangelist“ glaubte „an Schopenhauers edele moralische Qualität“.[i]
Dazu gäbe es manches zu sagen. Wir beschränken uns auf die Menschenliebe, über die der Philosoph viel nachgedacht und geschrieben hat, wirkliche Menschenliebe sei es nur dann, wenn ich „dem Andern geholfen, ihn aus seiner Noth und Bedrängniß gerissen, ihn von seinem Leiden befreiet“ habe, ohne irgend einen Zweck und Hintergedanken — nach dem Evangelisten Matthäus 6,3: „Wenn aber du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut.“ Wenn folglich „meine Handlung moralischen Werth“ haben soll, muss „ganz allein die fremde Noth und keine andere Rücksicht mein Motiv“ sein.[ii]
Diese wirkliche Menschenliebe gepredigt zu haben, ist, nach Schopenhauer, „das große, auszeichnende Verdienst des Christenthums“. Allerdings fügt der Buddhist Schopenhauer bei, die Veden erteilten uns auch hier gleichsam die höhere Weihe, „indem sie wiederholentlich versichern, daß wer irgend einen Lohn seiner Werke begehrt, noch auf dem Wege der Finsterniß begriffen und zur Erlösung nicht reif sei“.[iii] Damit sind wir wieder beim „Geist der Indischen Weisheit“ und beim „Neuen Testament“.
Über den Oupnek'hat, die Upanishaden, schrieb Schopenhauer in den Parerga und Paralipomena, er sei „die belohnendeste und erhebendeste Lektüre, die (den Urtext ausgenommen) auf der Welt möglich ist: sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens seyn“.[iv]
Ich beschäftige mich seit nunmehr über sechzig Jahren mit Arthur Schopenhauer und stimme dem zu, was Frauenstädt über ihn geschrieben hat. Zudem sind dessen Werke in der Tat eine belohnende und erhebende Lektüre, die „der Trost meines Lebens gewesen“ ist.
Wie es mit dem Sterben sein wird, weiss ich nicht. — Sicher hingegen ist, dass das, was ich im Zusammenhang mit Arthur Schopenhauer und seinen Werken „gewirkt“ habe, mit den Worten des Predigers, oder nach Martin Buber (1878-1965) dem Versammler, trefflich beurteilt werden kann: „Doch als ich all meine Werke ansah, die meine Hände gewirkt hatten, und die Mühe, die ich damit gehabt, siehe, da war alles nichtig und ein Haschen nach Wind. Es gibt keinen Gewinn unter der Sonne.“[v]
Dank
Ich danke herzlich Anke Brumloop in Bad Hersfeld, Maria Hufenus in St.Gallen, Werner Lehfeldt in Göttingen und Stephan Ziegler in St.Gallen für deren vielfältige Hilfe.
[i] Lindner, Frauenstädt, S. 273-274.
[ii] Wagner: Register, S. 270-271. D, 3, S. 698.
[iii] D, 3, S. 698. GBr (1978), S. 236: „wir Buddhaisten“.
[iv] D, 5, S. 432.
[v] Die Prediger 2,11.
Die weiteren Teile der Serie «Arthur Schopenhauer als Menschenfreund» finden Sie in unserem Schopenhauer-Dossier.