«So etwas habe ich noch nie erlebt», hört man in diesen Tagen und Wochen vielerorts. Vogelgrippe, Schweinegrippe oder der Vorläufer des Coronavirus, das Sars-CoV – auch bekannt unter der Krankheit Sars – legten das öffentliche Leben längst nicht in diesem Masse lahm, wie es das Coronavirus momentan macht. Das letzte Mal, als solch drastische Massnahmen herrschten, war kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, als die Spanische Grippe ausbrach. Eine kurze Reise zurück in die Zeit zwischen 1918 und 1920.
Drei Wellen
Im Jahr 1918 verbreitete sich die Spanische Grippe. Mitte Mai 1918 erreichte die Epidemie auch die Schweiz. Über die deutsch-französische Grenze machte sie sich unter den Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs breit.Die sogenannte Spanische Grippe erfasste in zwei Wellen etwa zwei Millionen Menschen in der Schweiz. Im Kanton St.Gallen traten die ersten Fälle im Jahr 1918 in der zweiten Hälfte Mai auf, wie die Sanitätskommission im Jahresbericht schreibt. Es gab Übereinstimmungen mit der Influenza von 1889 bis 1890. Mit dem Bundesbeschluss vom 19. November 1918 wurden den Kantonen für Massnahmen gegen die Epidemie Bundesbeiträge von 50% zur Deckung der Kosten zugesichert. Dies betraf beispielsweise die Einrichtung und den Betrieb von Notspitälern, Anstellung von Pflegepersonal usw. Ausserdem sollten aufgrund der Schliessungen oder dem Verbot von Veranstaltungen den Unternehmen beziehungsweise sonstigen Personen Entschädigungen gezahlt werden.
20'218 Fälle in der Stadt
In der Stadt St.Gallen wurden 20'218 Krankheitsfälle registriert, wovon 1'505 an einer Lungenentzündung erkrankten. Sie trat auf, wenn Grippeviren die Lunge schwächten und das Immunsystem schädigten. Die eingedrungenen Bakterien konnten bei schlechtem Verlauf innerhalb von ein paar Tagen zum Tod des Erkrankten führen. Die mangelnde Ernährung während der Kriegszeit (Erster Weltkrieg) und kalte Witterung konnten die Bedingungen verschlechtern. Aufgrund der Wettersituation nahm die erste Grippewelle im Sommer 1918 einen weniger folgenreichen Verlauf als jene im Herbst 1918 - die Teilnahme Vieler am Generalstreik und die Einberufung des Militärs verstärkten zusätzlich einen Anstieg der Grippefälle. Die Meldungen von erkrankten Personen gingen im Dezember 1918 zurück und im April 1919 galt die Spanische Grippe in St.Gallen als besiegt.
50 Millionen Tote weltweit
Die Spanische Grippe war für die Schweiz und die Welt einschneidend. Schulen wurden geschlossen, manche Betriebe meldeten über 80 Prozent der Belegschaft als von der Grippe angesteckt. Auch öffentliche Poststellen wurden geschlossen und der Verkehr fuhr unregelmässig. Als die Grippe im November 1918 ihren Höhepunkt erreichte, weigerten sich die Spitäler in der Schweiz sogar, Grippepatienten aufzunehmen. Viele Ärzte waren auch selbst krank oder starben gar an der Grippe. Diese Jahrhundertseuche kostete rund 25'000 Personen in der Schweiz das Leben und 50 Millionen weltweit, was ungefähr dem Fünffachen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges entspricht.