Kaum in Aden angekommen, könnte Otto sich für 20 Francs im Monat einen Sklaven kaufen. Otto bewertet das nicht; wie wir sehen werden, wird er sich für die Reise innerhalb von Madagaskar 16 Sklaven mieten, die ihn und sein Gepäck über das Festland tragen. Auch in Aden ist Otto nur kurze Zeit: Schon um 6 Uhr am 15. Mai dampft das Schiff weiter, um um 11 Uhr das Kap Guardafui in Somalia hinter sich zu lassen.
Am 19. Mai passiert das Schiff um 12:30 Uhr den Äquator, um 16 Uhr war es bereits bei den Seychellen und um 20 Uhr erreicht Otto Sennhauser die Stadt Mahé auf den Seychellen. Er schreibt: «Seitdem Marseille verliessen ist dies der erste grüne Fleck Land den wir erblickten. Hübsche Gegend. hat viel Aehnlichkeit mit Vitznau, nur ist der Berg nicht so hoch wie der Rigi.»
Mahé verlässt Otto am 20. Mai und erreicht 3 Tage später Port St.-Dénis auf La Réunion. Auch dort dürfen die Fahrgäste nicht landen, weil an Land die Blattern ausgebrochen sind. Die Passagiere werden einen Tag in Quarantäne gesetzt. Von La Réunion reist Otto am 24. Mai um 5 Uhr nachmittags nach Port Louis auf Mauritius, wo er nach 21 Tagen Fahrt am 25. Mai morgens um 7 Uhr wohlerhalten anlangt.
Die Geschäfte auf Mauritius
Bei seiner Ankunft auf Mauritius sucht Otto sogleich seinen Geschäftspartner Thomas Wilkinson, jedoch vergeblich: Als dieser bis nach 11 Uhr nicht auftaucht, vertreibt sich Otto die Zeit in der Stadt, wo er sich mit zwei französischen Offizieren einen Zweispänner mietet und die Jardins Royaux Botaniques in Pamplemousse besichtigt. Er berichtet begeistert von der ungewöhnlichen Flora und Fauna und schickt Zeichnungen nach Hause.
Ihm fallen auch die Einwohner von Mauritius auf, er beschreibt ihr Aussehen und ihre Kleidung und vergleicht sie mit den Bewohnern anderer Länder in Afrika. Staunend nimmt er auch deren Ohrschmuck wahr. Über Mauritius schreibt Otto Sennhauser weiter, dass trotz der grossen Wasserverfügbarkeit das Land eine «sehr ungesunde Gegend» sei, «wo das Fieber jährlich eine grosse Anzahl Opfer fordert. Früher war das Fieber Hier noch unbekannt & soll, wie man mir sagt von India eingeführt worden sein.»
Rund drei Wochen nach seiner Abreise trifft Otto Sennhauser das erste Mal seinen Geschäftspartner Thomas Wilkinson, einen «Mann im Alter von 50zig Jahren; mittlerer Grösse, grauen Haaren, unsicherem, eigenthümlichem Gang, Vertrauen einflössend, besonders bei der ersten Begegnung.»
Allerdings erfährt Otto bald, dass Wilkinson in eine Gerichtsangelegenheit verstrickt ist – alles, was wir erfahren, ist, dass es offenbar Handelsstreitigkeiten zwischen den englischen, französischen, deutschen und Schweizer Handelshäusern gab, für die Wilkinson tätig ist; ein Mann namens Levi, der wohl in einem Zusammenhang mit einem Konsul Pickersgill stand, brach eines Abends in Wilkinsons Haus ein und dieser erschoss ihn nach eigener Aussage in Notwehr – und dass sich daher die Weiterreise nach Madagaskar verzögert.
Mit den verstreichenden Tagen ärgert sich Otto zunehmend über Wilkinsons Affäre und erwägt sogar, allein mit dem Segler während fünf Tagen nach Madagaskar zu reisen. Dies wiederum hätte ihm nichts gebracht; am 24. Juni 1887 schreibt Otto: «Morgen wird es ein Monat dass ich Hier in Port Louis landete. Dachte nicht dass ich so lange in Maurice bleiben würde. Die Angelegenheit Wilkinson nöthigte jedoch mein Bleiben, da ich nach meiner Ansicht doch nicht viel oder gar nichts hätte machen können (für den Anfang) in Madagascar ohne ihn.»
So frönt Otto auf Mauritius noch ein wenig der schönen Dinge des Lebens und nimmt am 21. Juni am 50-Jahr-Jubiläum von Königin Victoria teil, das in der englischen Kolonie gefeiert wurde: «Grossartige Races, Illuminations & fire works in Port Louis.»
Allerdings sei Mauritius sehr langweilig, wenn man keine Bekannte habe; «Niergends Concert od. Theater», und ihm schwant Böses für Madagaskar: «Punkto Lebensweise für Europäer muss es gewiss noch viel langweiliger sein in Madagascar; weil unzivilisirt & ohne protection.»
Die Überfahrt nach Madagaskar
Die dreieinhalbtägige Überfahrt von Mauritius nach Madagaskar tritt Otto wie geplant auf einem Segler an, weil das Dampfschiff nur einmal im Monat fährt. Er berichtet über prekäre Verhältnisse an Bord, es ist eng, dunkel und es gibt «fast gar keine Ventilation.»
Otto schläft ohne Matratze oder Kopfkissen auf dem Boden und deckt sich nur mit seinem Schal zu. Weil er zu sehr hin und her geschleudert wird und sich vor Verletzungen fürchtet, zwängt er sich zwischen sein Handgepäck und die Wand. Wen wundert’s, dass die Fahrt nur 50 statt 94 Rupees (gemäss Otto 90 Franken statt 160 Franken) kostete!
Wir erfahren auch, wie anno 1887 auf See navigiert wurde, denn Otto beschreibt den Gebrauch des Chronometers: «Mit Hülfe eines guten Chronomèter's & eines genauen Kompasses & selbstverständlich guter Seekarten ist man im Stande mit Leichtigkeit und Bestimmtheit nach einem beliebigen Ort hin zu steuern, ohne das Ziel zu verfehlen. Den Chronomètre gebraucht man gewöhnlich Mittags wenn die Sonne am höchsten steht & kann man dabei vermittelst einer kleinen Calculation genau herausfinden zwischen welchem Längen- & Breitegrade wir uns befinden. Nachher zieht man die Linien auf der Karte & der Punkt wo sie sich zusammentreffen zeigt genau den Ort an, wo wir uns befinden.»
Vor Toamasina (frz. Tamatave; Otto wählt den französischen Namen), gemäss Otto dem jährlich wachsenden Hauptsitz für den Exporthandel von Madagaskar, läuft das Schiff Gefahr, von den riesigen Wellen, die sich über dem Korallenriff aufbäumen, zu kentern, doch die Mannschaft erreicht Tamatave unbeschadet.
«Nachdem wir Anker gelegt, nahm ich mein kleines Gepäck auf's Verdeck. Ein Boot näherte sich uns & brachte den Docktor & den franz. Zollaufseher Mr. Ollivier an bord. Diese erkundigten sich nach der Gesundheit der Passagiere & nach der Fracht. Der Capitain übergab die clean bill of health und die bills of La[n]ding für hiesigen Port.»
Auch auf Madagaskar macht Wilkinson Probleme: Kaum angelangt, erscheinen Offiziere der einheimischen Regierung, um ihm den Aufenthalt in Madagaskar zu verbieten und ihn zu verhaften, wogegen er sich aber weigert.
Verschiedene Auf- und Verträge spielen gegeneinander und Otto wird Wilkinson gegenüber zunehmend missmutiger: «Mir sagte er niemals, dass er Schwierigkeiten zu befürchten hätte, wenn er nach Tamatave kommen werde, obwohl er dies wissen musste! […] Warum wurde Mr. Wilkinson von der Howaregierung des Landes verwiesen? – Antwort: Weil fragl[icher]. Herr vor einem Jahr, als er sich in Mauritius befand (wegen seinem vorhergehenden shooting case) in den dortigen Zeitungen über die Howaregierung losschimpfte.»
Ohnehin schreibe Wilkinson «zuviel in die Zeitungen & greift jeden an an dem er etwas auszusetzen findet. Besonders erbittert & feindlich gesinnt scheint er gegen die engl. Missionäre & Consul’s zu sein. Er macht sich durch seine Schreiberei sehr viele Feinde & muss hie & da wohl auch ein Unschuldiger [damit meint er sich selbst, VZ] darunter leiden.»
Firmenvertreter, ein lukrativer Job
Otto lernt auf seiner Reise viele Vertreter verschiedener Firmen kennen, die mit derselben Aufgabe betreut sind wie er, nämlich für Importe und Exporte, neue Absatzmärkte und Beziehungspflege. In einem seiner Briefe schreibt er, wie lukrativ diese Geschäfte laufen können:
«Mr. Whitney ist wahrscheinlich einer der reichsten Leute in Hier. Er vertritt 2 Firmen in New York, welche ihm regelmässig […] american cloth (cotton) pr. extra Segler in Commission zusenden. & Whitney exportirt dagegen rohe Häute & Kautschuck […]. Letztes mal wie sein Schiff ankam lud er 30,000 Stück Thierfelle […]. Ein Thierfell kostet Hier gewöhnlich frcs 15- pr. Stück. Rubber = 50 Rappen pr. p. […]
Dieser Cotton cloth findet guten Absatz in Madagascar, jedoch der Profit ist schmal & muss da die Quantität nachhelfen. Nebst diesen 2 Häusern, giebt es noch mehrere Vertreter für engl. & deutsche Firmen für den nämlichen Artikel. Als Exportartikel wird an den rohen Häuten & rubber ein schöner Profit erzielt. Es braucht ziemliches Capital um dieses Geschäft recht rentabel betreiben zu können. Es erfordert tüchtige Agenten an den verschiedenen Hauptplätzen, welche den Verkauf & Einkauf besorgen. […]
Der [Eingangs-]Zoll auf sämmtliche Waaren ist 10% auf den Kostenpreis und muss dieser Zoll nicht in natura oder Waaren, sondern in franz. Geld bezahlt werden. Der Ausgangszoll ist ebenfalls 10%.»
In einem seiner längsten Briefe (02.07.1887) schreibt Otto: «Sehne mich bald an die Arbeit gehen zu dürfen. […] Hoffe bis dann [d.h. bis in einem Jahr, VZ] so weit vorgeschritten zu sein, dass ich auf eigenen Füssen stehen kann. Vorläufig ist er [Wilkinson] mir unentbehrlich, da ich der Sprache noch nicht mächtig, Land & Leute noch nicht kenne & somit von ihm abhängig bin. […]
Meine Idee ist, irgend etwas an die Hand zu nehmen, wobei ich sicher bin etwas zu verdienen. – Nun, meinerseits werde die Situation gehörig überschauen & hoffe auch noch Leute zu treffen, die mir mit Rath zur Seite stehen werden in diesem fremden & uncivilisirten Land.»
Geschäftlich tauschen sich Otto und sein Vater vornehmlich über Zollgebühren und Warenabsatz aus. Otto, der versucht, neue Absatzmärkte zu erschliessen, sendet Vorschläge, aus welchen Stoffen und wie geartet die Stickereiprodukte der Firma zu sein haben, damit sie sich möglichst gut verkaufen. Es kristallisiert sich allerdings immer mehr heraus, dass die Geschäfte für Europäer auf Mauritius und auch auf Madagaskar sehr schlecht laufen. Als Grund führt Otto einmal an, die «Malabars oder Indier & die Araber haben das Geschäft in der Hand».
Die Europäer in Afrika
«Das Leben für einen Europäer in dieser Gegend ist ein äusserst trauriges & langweiliges. Man hat durchaus keine Vergnügen. An einem Sontag kann man sich nicht einmal einen ordentlichen Spatziergang gönnen in Folge der miserablen Wege. Von Theater oder Concert keine Spur. Auch keine Wirthschaft oder Hôtel & bleibe ich die meiste Zeit allein zu Hause.
Die Mehrzahl der Weissen Hier bilden eine niedere Klasse von Leuten mit wenig Bildung; betreiben den Spirituosen Handel & in sittlicher Beziehung geben sie als civilisirte Menschen, diesen Eingebornen ein äusserst schlechtes Beispiel.
Viele ruiniren sich dadurch ganz & sterben in kurzer Zeit weg oder leiden an einer unheilbaren Krankheit. Es ist ein Uebel & sehr zu bedauern, dass sich so viele der Trunksucht übergeben; ganz besonders in solchen Gegenden sollte man keine geistigen Getränke zu sich nehmen, denn es beschleunigt das Fieber.» (05.12.1887)