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Stadt St.Gallen
04.02.2024
03.04.2024 14:25 Uhr

Perlen aus dem «Stadtspiegel»: Eine Geschäftsreise anno 1887

Otto Sennhausers gemietetes, europäisches Haus auf Madagaskar
Otto Sennhausers gemietetes, europäisches Haus auf Madagaskar Bild: StadtASG, PA,X,189
Vera Zürcher vom Stadtarchiv hat für den «Stadtspiegel», die Personalzeitschrift des städtischen Personals, und für stgallen24 Interessantes aus der St.Galler Geschichte zusammengestellt. Im dritten Beitrag machen wir eine Reise in den warmen Süden.

Das 19. Jahrhundert ist ein langes und spannendes. Mit der Industrialisierung begann sich die Welt immer schneller zu verändern. In der Schweiz, insbesondere in der Ostschweiz, trug jene massgeblich zum Erfolg diverser Stickereifirmen bei. In den 1820er Jahren entstand eine neue Sticktechnik und die Schweizer begannen zusätzlich zu den europäischen auch Märkte in Amerika zu erschliessen.

Die steigende Nachfrage gab den Anschub für die Erfindung neuer Stickmaschinen, die sich ab den 1850er Jahren langsam etablierten. In diese Anfänge der zweiten Stickereiblüte der Ostschweiz fällt ein Privatarchiv der Firma Sennhauser & Cie., welches erst letztes Jahr seinen Weg ins Stadtarchiv gefunden hat. Es beinhaltet neben einer Übersichtsdarstellung über die Firma einige Bilder, eine Autobiographie über den Gründer und – das Kernstück – rund 35 Briefe, die eine Geschäftsreise nach Afrika erzählen.

Dass wir diese Reise heute nachvollziehen können, verdanken wir dem Wunsch des Reisenden höchstpersönlich: «Es wird mich freuen, wenn Ihr meine Privatbriefe aufbewahrt, indem [ich] keine Copien davon besitze & mir später das Eint od. Andere wieder aus dem Gedächtniss schlüpfen möchte!»

Die Firma Sennhauser & Cie.

Die Geschichte beginnt mit Josef Anton Sennhauser. Er stammt aus Kirchberg, wo seine Familie Heimarbeit leistete; er selbst arbeitete am Webstuhl. 1845 wurde er zur Ausbildung nach Wien geschickt, wo er ein Jahr lang Weben und Zeichnen lernte. 1847 gelang es ihm, bei der Winterthurer Firma Imhof & Cie. eine Stelle als Vorarbeiter und Geschäftsführer in St.Gallen zu erlangen.

Ab den 1850er Jahren interessierte er sich zunehmend für die Stickerei und arbeitete mit der Stickereifirma St.Georgen zusammen, um Verbesserungen an Stickmaschinen vorzunehmen. Schon für das Jahr 1851 ist der Kauf eigener Stickmaschinen belegt, allerdings ist unklar, wohin diese geliefert wurden. Eine Möglichkeit hätte sicher die Firma St.Georgen geboten, was allerdings Spekulation bleiben muss.

Nach seiner Kündigung bei Imhof & Cie. schloss sich Sennhauser mit Wiget, Häne und Huber zusammen, die es ihm wohl finanziell ermöglichten, seine eigene Firma zu gründen. Über die Gründung der Stickereifirma ist sehr wenig bekannt: Sie ist ungefähr auf 1851 oder 1852 zu datieren. Die drei Herren stiegen wenig später aus und Sennhauser ging 1855 ein neues Assoziationsverhältnis mit seinem Schwager J.A. Walliser ein.

Für das Jahr 1856 ist denn auch der Bau eines Stickmaschinengebäudes für Sennhauser und Walliser an der Rosenheimstrasse 2/4 belegt (INSA, S. 154). 1870 folgte ein weiteres Gebäude an der Langgasse 2, das als Stickerei mit Wohnungen geplant war und sowohl Platz für die Produktion als auch die Arbeiter bot.

Die Firma Sennhauser & Co. An der Langgasse in St.Gallen. Lithografie von Othmar Hagmann. Undatiert. Bild: StadtASG, PA,X,189

Die Zusammenarbeit mit J.A. Walliser endete 1893 und ab da übernahm zunächst Josef Antons jüngerer Sohn Emil dessen Stelle, um 1898 von seinem älteren Bruder Otto Sennhauser unterstützt zu werden. Der Vater verliess die Firma im selben Jahr.

Über das Ende der Firma wissen wir nicht viel mehr als über ihre Anfänge: 1911 wurden die Stickmaschinen aus dem Gebäude an der Langgasse 2 entfernt (INSA, S. 134); das Gebäude wurde umfunktioniert und war wohl nicht mehr im Besitz der Firma. Zuletzt, ab 1917, ist die Firma an der Rosenbergstrasse 14 beheimatet, allerdings ist nicht klar, ob dort auch eine Produktionsstätte war.

Der Firmensitz bleibt dort bis 1924, danach geht die Firma wohl aufgrund der Folgen des Ersten Weltkriegs Konkurs – ein Schicksal vieler Stickereifirmen in St.Gallen.

Briefe in die Heimat

In der Zeit nach 1870, als die Firma wohl florierte, waren Josef Anton Sennhausers Söhne Emil und Otto ungefähr im Schul- oder Studentenalter. Der ältere Sohn Otto (*11.07.1858) besuchte zunächst die Primarschule, 1871 für ein Jahr das Kollegium in Mehrerau, dann das Kollegium in Schwyz und verbrachte ein Jahr in Belgien, wo er eine kaufmännische Ausbildung absolvierte.

Er war 1877 bis 1882 für die Firma seines Vaters tätig und reiste mit nur 25 Jahren nach Amerika, um dort neue Absatzmöglichkeiten für die Firma zu erschliessen.

Zwei Jahre gültiger Reisepass, ausgestellt am 1. Mai 1881 für Otto Sennhauser: «Wir Landammann und Kleiner Rath des Kantons St.Gallen ersuchen hiemit, unter Anerbietung der Reziprozität, alle Zivil- und Militärbehörden, denen die Handhabung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit obliegt, dem Vorweiser dieses Herrn Otto Sennhauser, Sohn von Herrn Bezirksrichter Sennhauser in Tablat, welcher zum Besuch einer höhern Schule in Mehrerau, nach den Oestereichischen Staaten zu reisen Willens ist, aller Orten frei, sicher und ungehindert mit seinen Effekten passiren zu lassen.» Bild: StadtASG, PA,X,189

Mit 29 Jahren trat er erneut eine Reise an. Sie führte ihn nach Madagaskar, wo er die Textilproduktion vertreiben sollte, aber auch andere Schweizer Firmen mittels Mandate vertrat. Der Verkauf der regelmässigen Warenlieferungen von Sennhauser & Cie. brachten ihm das Geld für seinen Lebensunterhalt ein.

Ottos Briefe an seine Eltern und seinen Bruder in St.Gallen sind zahlreich und ein wahrer Fundus verschiedenster Details, seien es Auskünfte über Geschäftsbeziehungen, die zuweilen staunenden Eindrücke von Flora und Fauna oder auch die eurozentristisch geprägte Sicht auf die Madagassen.

Die Briefe bieten eine sehr persönliche Sicht auf das Unterfangen, zeigen, womit Otto Sennhauser zu kämpfen hatte, und lassen einiges offen – umso anregender für die Fantasie!

Vollmacht für Otto Sennhauser: «Procuration. Du 15 Avril 1887. Par devant moi soussigné Jules Soguel, notaire public et juré à la Chaux de Fonds et en présence des deux témoins après nommés a comparu le citoyen Charles Siegrist allié Lipp, fils de Mathias, demeurant en ce lieu, lequel agit en sa qualité et comme seul chef de la maison d’horlogerie existant à la Chaux de Fonds sous la raison C. Siegrist Lipp; Le comparant a déclaré que, par le présent, il constitue pour mandataire spécial de sa maison, le citoyen Otto Sennhauser, à Saint-Gall, qui est à la veille de son départ pour Madagascar et auquel il donne pouvoir de faire et soigner en cette île toutes les opérations de commerce de la dite maison, lui conférant à cet égard tous les droits et libertés accodés à son collègue M. Thomas Wilkinson déjà établi à Madagascar.» Bild: StadtASG, PA,X,189. Eigene Hervorhebung

Von Europa nach Afrika

Die Reise beginnt selbstverständlich in St.Gallen. Den ersten Brief schreibt Otto aus Marseille. Er berichtet von der Zugfahrt über Baden, Aarau, Lausanne und Genf, über den Zoll in Bellegarde, «musste nur das kl. Köfferchen öffnen, nachdem zuvor den Inhalt (1 Fl. Kirsch, 1 p Pulver & 3 Schächteln Patronen) declarirt hatte. Wurde ohne weiteres passirt», wie er in Lyon ein «supplement tiket» für 11 Francs lösen musste, um seinen Anschluss zu erwischen, und wie schliesslich der Zoll in Marseille ihn passieren liess, «nur mit dem Unterschied, dass man für den Kirsch (ohne ihn gesehen zu haben) 65 cts Zoll verlangte».

In Marseille besteigt Otto am 4. Mai 1887 das Dampfschiff «Natal», das um 12 Uhr mittags ablegt. Offenbar ist er nicht der einzige internationale Reisende, denn: «Was für ein Durcheinander von Nationen findet man da unter den Passagieren! – Spanier, Franzosen, Engländer, Italiener, Türken, Portugesen, Araber etc.»

Wir erfahren auch, dass rund 200 Soldaten mit an Bord sind, von denen ein Teil nach Madagaskar, ein anderer nach La Réunion und der Rest nach Neukaledonien, eine Insel zwischen Australien und den Fidschis, zu der Zeit offenbar eine französische Strafkolonie, geschickt werden. Das Schiff passiert am nächsten Tag frühmorgens die Meeresstrasse von Bonifacio, den schmalen Durchgang zwischen Sardinien und Korsika. Tags darauf staunt Otto über den Vulkan Stromboli und die Strasse von Messina, von wo aus man den Ätna sehen kann.

Einen Tag später lässt der Dampfer Kreta hinter sich, um am 9. Mai morgens um 10 Uhr in Port Saïd in Ägypten anzulangen. Allerdings, glaubt Otto, wird man nicht anlegen dürfen, weil es auf dem Schiff einen Fall von Scharlachfieber gibt.

Nach einer kleinen Einkehr im Café Casino in Port Saïd, «wo auch Münchener Bier ausgeschenckt wird», verlässt Otto die Stadt bereits wieder, um um 16 Uhr die Fahrt durch den Suezkanal anzutreten. Während man heute für die Durchfahrt etwa elf bis sechzehn Stunden benötigt, dauerte die Fahrt 1887 gar nicht viel länger: Bereits um 10 Uhr am nächsten Tag erreichte das Schiff das Rote Meer.

Die scharlachfieberkranke Person wurde in Port Saïd zurückgelassen. Am Abend des 14. Mai trifft Otto in Aden ein, einer Küstenstadt im Jemen. Er kündigt begeistert an: «Von Mahé werde wieder schreiben! Haben einen Tag gewonnen durch den Suez Canal indem bei Nacht fuhren (mit elektrischer Beleuchtung, vorn am Schiff) (das erste Mal!)»

  • Die Reiserouten. Violett: St.Gallen-Mauritius, blau: Mauritius-Tamatave, gelb: Tamatave-Antananarivo retour, rot: Tamatave-Durban, grün: Durban-London. Bild: Stadtarchiv St.Gallen
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  • Die Reiserouten. Violett: St.Gallen-Mauritius, blau: Mauritius-Tamatave, gelb: Tamatave-Antananarivo retour, rot: Tamatave-Durban, grün: Durban-London. Bild: Stadtarchiv St.Gallen
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Kaum in Aden angekommen, könnte Otto sich für 20 Francs im Monat einen Sklaven kaufen. Otto bewertet das nicht; wie wir sehen werden, wird er sich für die Reise innerhalb von Madagaskar 16 Sklaven mieten, die ihn und sein Gepäck über das Festland tragen. Auch in Aden ist Otto nur kurze Zeit: Schon um 6 Uhr am 15. Mai dampft das Schiff weiter, um um 11 Uhr das Kap Guardafui in Somalia hinter sich zu lassen.

Am 19. Mai passiert das Schiff um 12:30 Uhr den Äquator, um 16 Uhr war es bereits bei den Seychellen und um 20 Uhr erreicht Otto Sennhauser die Stadt Mahé auf den Seychellen. Er schreibt: «Seitdem Marseille verliessen ist dies der erste grüne Fleck Land den wir erblickten. Hübsche Gegend. hat viel Aehnlichkeit mit Vitznau, nur ist der Berg nicht so hoch wie der Rigi.»

Mahé verlässt Otto am 20. Mai und erreicht 3 Tage später Port St.-Dénis auf La Réunion. Auch dort dürfen die Fahrgäste nicht landen, weil an Land die Blattern ausgebrochen sind. Die Passagiere werden einen Tag in Quarantäne gesetzt. Von La Réunion reist Otto am 24. Mai um 5 Uhr nachmittags nach Port Louis auf Mauritius, wo er nach 21 Tagen Fahrt am 25. Mai morgens um 7 Uhr wohlerhalten anlangt.

Die Geschäfte auf Mauritius

Bei seiner Ankunft auf Mauritius sucht Otto sogleich seinen Geschäftspartner Thomas Wilkinson, jedoch vergeblich: Als dieser bis nach 11 Uhr nicht auftaucht, vertreibt sich Otto die Zeit in der Stadt, wo er sich mit zwei französischen Offizieren einen Zweispänner mietet und die Jardins Royaux Botaniques in Pamplemousse besichtigt. Er berichtet begeistert von der ungewöhnlichen Flora und Fauna und schickt Zeichnungen nach Hause.

Ihm fallen auch die Einwohner von Mauritius auf, er beschreibt ihr Aussehen und ihre Kleidung und vergleicht sie mit den Bewohnern anderer Länder in Afrika. Staunend nimmt er auch deren Ohrschmuck wahr. Über Mauritius schreibt Otto Sennhauser weiter, dass trotz der grossen Wasserverfügbarkeit das Land eine «sehr ungesunde Gegend» sei, «wo das Fieber jährlich eine grosse Anzahl Opfer fordert. Früher war das Fieber Hier noch unbekannt & soll, wie man mir sagt von India eingeführt worden sein.»

Rund drei Wochen nach seiner Abreise trifft Otto Sennhauser das erste Mal seinen Geschäftspartner Thomas Wilkinson, einen «Mann im Alter von 50zig Jahren; mittlerer Grösse, grauen Haaren, unsicherem, eigenthümlichem Gang, Vertrauen einflössend, besonders bei der ersten Begegnung.»

Allerdings erfährt Otto bald, dass Wilkinson in eine Gerichtsangelegenheit verstrickt ist – alles, was wir erfahren, ist, dass es offenbar Handelsstreitigkeiten zwischen den englischen, französischen, deutschen und Schweizer Handelshäusern gab, für die Wilkinson tätig ist; ein Mann namens Levi, der wohl in einem Zusammenhang mit einem Konsul Pickersgill stand, brach eines Abends in Wilkinsons Haus ein und dieser erschoss ihn nach eigener Aussage in Notwehr – und dass sich daher die Weiterreise nach Madagaskar verzögert.

Mit den verstreichenden Tagen ärgert sich Otto zunehmend über Wilkinsons Affäre und erwägt sogar, allein mit dem Segler während fünf Tagen nach Madagaskar zu reisen. Dies wiederum hätte ihm nichts gebracht; am 24. Juni 1887 schreibt Otto: «Morgen wird es ein Monat dass ich Hier in Port Louis landete. Dachte nicht dass ich so lange in Maurice bleiben würde. Die Angelegenheit Wilkinson nöthigte jedoch mein Bleiben, da ich nach meiner Ansicht doch nicht viel oder gar nichts hätte machen können (für den Anfang) in Madagascar ohne ihn.»

So frönt Otto auf Mauritius noch ein wenig der schönen Dinge des Lebens und nimmt am 21. Juni am 50-Jahr-Jubiläum von Königin Victoria teil, das in der englischen Kolonie gefeiert wurde: «Grossartige Races, Illuminations & fire works in Port Louis.»

Allerdings sei Mauritius sehr langweilig, wenn man keine Bekannte habe; «Niergends Concert od. Theater», und ihm schwant Böses für Madagaskar: «Punkto Lebensweise für Europäer muss es gewiss noch viel langweiliger sein in Madagascar; weil unzivilisirt & ohne protection.»

Die Überfahrt nach Madagaskar

Die dreieinhalbtägige Überfahrt von Mauritius nach Madagaskar tritt Otto wie geplant auf einem Segler an, weil das Dampfschiff nur einmal im Monat fährt. Er berichtet über prekäre Verhältnisse an Bord, es ist eng, dunkel und es gibt «fast gar keine Ventilation.»

Otto schläft ohne Matratze oder Kopfkissen auf dem Boden und deckt sich nur mit seinem Schal zu. Weil er zu sehr hin und her geschleudert wird und sich vor Verletzungen fürchtet, zwängt er sich zwischen sein Handgepäck und die Wand. Wen wundert’s, dass die Fahrt nur 50 statt 94 Rupees (gemäss Otto 90 Franken statt 160 Franken) kostete!

Wir erfahren auch, wie anno 1887 auf See navigiert wurde, denn Otto beschreibt den Gebrauch des Chronometers: «Mit Hülfe eines guten Chronomèter's & eines genauen Kompasses & selbstverständlich guter Seekarten ist man im Stande mit Leichtigkeit und Bestimmtheit nach einem beliebigen Ort hin zu steuern, ohne das Ziel zu verfehlen. Den Chronomètre gebraucht man gewöhnlich Mittags wenn die Sonne am höchsten steht & kann man dabei vermittelst einer kleinen Calculation genau herausfinden zwischen welchem Längen- & Breitegrade wir uns befinden. Nachher zieht man die Linien auf der Karte & der Punkt wo sie sich zusammentreffen zeigt genau den Ort an, wo wir uns befinden.»

Vor Toamasina (frz. Tamatave; Otto wählt den französischen Namen), gemäss Otto dem jährlich wachsenden Hauptsitz für den Exporthandel von Madagaskar, läuft das Schiff Gefahr, von den riesigen Wellen, die sich über dem Korallenriff aufbäumen, zu kentern, doch die Mannschaft erreicht Tamatave unbeschadet.

«Nachdem wir Anker gelegt, nahm ich mein kleines Gepäck auf's Verdeck. Ein Boot näherte sich uns & brachte den Docktor & den franz. Zollaufseher Mr. Ollivier an bord. Diese erkundigten sich nach der Gesundheit der Passagiere & nach der Fracht. Der Capitain übergab die clean bill of health und die bills of La[n]ding für hiesigen Port.»

Auch auf Madagaskar macht Wilkinson Probleme: Kaum angelangt, erscheinen Offiziere der einheimischen Regierung, um ihm den Aufenthalt in Madagaskar zu verbieten und ihn zu verhaften, wogegen er sich aber weigert.

Verschiedene Auf- und Verträge spielen gegeneinander und Otto wird Wilkinson gegenüber zunehmend missmutiger: «Mir sagte er niemals, dass er Schwierigkeiten zu befürchten hätte, wenn er nach Tamatave kommen werde, obwohl er dies wissen musste! […] Warum wurde Mr. Wilkinson von der Howaregierung des Landes verwiesen? – Antwort: Weil fragl[icher]. Herr vor einem Jahr, als er sich in Mauritius befand (wegen seinem vorhergehenden shooting case) in den dortigen Zeitungen über die Howaregierung losschimpfte.»

Ohnehin schreibe Wilkinson «zuviel in die Zeitungen & greift jeden an an dem er etwas auszusetzen findet. Besonders erbittert & feindlich gesinnt scheint er gegen die engl. Missionäre & Consul’s zu sein. Er macht sich durch seine Schreiberei sehr viele Feinde & muss hie & da wohl auch ein Unschuldiger [damit meint er sich selbst, VZ] darunter leiden.»

Firmenvertreter, ein lukrativer Job

Otto lernt auf seiner Reise viele Vertreter verschiedener Firmen kennen, die mit derselben Aufgabe betreut sind wie er, nämlich für Importe und Exporte, neue Absatzmärkte und Beziehungspflege. In einem seiner Briefe schreibt er, wie lukrativ diese Geschäfte laufen können:

«Mr. Whitney ist wahrscheinlich einer der reichsten Leute in Hier. Er vertritt 2 Firmen in New York, welche ihm regelmässig […] american cloth (cotton) pr. extra Segler in Commission zusenden. & Whitney exportirt dagegen rohe Häute & Kautschuck […]. Letztes mal wie sein Schiff ankam lud er 30,000 Stück Thierfelle […]. Ein Thierfell kostet Hier gewöhnlich frcs 15- pr. Stück. Rubber = 50 Rappen pr. p. […]

Dieser Cotton cloth findet guten Absatz in Madagascar, jedoch der Profit ist schmal & muss da die Quantität nachhelfen. Nebst diesen 2 Häusern, giebt es noch mehrere Vertreter für engl. & deutsche Firmen für den nämlichen Artikel. Als Exportartikel wird an den rohen Häuten & rubber ein schöner Profit erzielt. Es braucht ziemliches Capital um dieses Geschäft recht rentabel betreiben zu können. Es erfordert tüchtige Agenten an den verschiedenen Hauptplätzen, welche den Verkauf & Einkauf besorgen. […]

Der [Eingangs-]Zoll auf sämmtliche Waaren ist 10% auf den Kostenpreis und muss dieser Zoll nicht in natura oder Waaren, sondern in franz. Geld bezahlt werden. Der Ausgangszoll ist ebenfalls 10%.»

In einem seiner längsten Briefe (02.07.1887) schreibt Otto: «Sehne mich bald an die Arbeit gehen zu dürfen. […] Hoffe bis dann [d.h. bis in einem Jahr, VZ] so weit vorgeschritten zu sein, dass ich auf eigenen Füssen stehen kann. Vorläufig ist er [Wilkinson] mir unentbehrlich, da ich der Sprache noch nicht mächtig, Land & Leute noch nicht kenne & somit von ihm abhängig bin. […]

Meine Idee ist, irgend etwas an die Hand zu nehmen, wobei ich sicher bin etwas zu verdienen. – Nun, meinerseits werde die Situation gehörig überschauen & hoffe auch noch Leute zu treffen, die mir mit Rath zur Seite stehen werden in diesem fremden & uncivilisirten Land.»

Geschäftlich tauschen sich Otto und sein Vater vornehmlich über Zollgebühren und Warenabsatz aus. Otto, der versucht, neue Absatzmärkte zu erschliessen, sendet Vorschläge, aus welchen Stoffen und wie geartet die Stickereiprodukte der Firma zu sein haben, damit sie sich möglichst gut verkaufen. Es kristallisiert sich allerdings immer mehr heraus, dass die Geschäfte für Europäer auf Mauritius und auch auf Madagaskar sehr schlecht laufen. Als Grund führt Otto einmal an, die «Malabars oder Indier & die Araber haben das Geschäft in der Hand».

Die Europäer in Afrika

«Das Leben für einen Europäer in dieser Gegend ist ein äusserst trauriges & langweiliges. Man hat durchaus keine Vergnügen. An einem Sontag kann man sich nicht einmal einen ordentlichen Spatziergang gönnen in Folge der miserablen Wege. Von Theater oder Concert keine Spur. Auch keine Wirthschaft oder Hôtel & bleibe ich die meiste Zeit allein zu Hause.

Die Mehrzahl der Weissen Hier bilden eine niedere Klasse von Leuten mit wenig Bildung; betreiben den Spirituosen Handel & in sittlicher Beziehung geben sie als civilisirte Menschen, diesen Eingebornen ein äusserst schlechtes Beispiel.

Viele ruiniren sich dadurch ganz & sterben in kurzer Zeit weg oder leiden an einer unheilbaren Krankheit. Es ist ein Uebel & sehr zu bedauern, dass sich so viele der Trunksucht übergeben; ganz besonders in solchen Gegenden sollte man keine geistigen Getränke zu sich nehmen, denn es beschleunigt das Fieber.» (05.12.1887)

Ottos Skizze eines madagassischen Hauses Bild: StadtASG, PA,X,189

Es scheint gang und gäbe gewesen zu sein, dass sich die reisenden Europäer rege austauschten. So berichtet Otto, egal wo er sich gerade aufhält, immer wieder von Einladungen zu Matineen, Afternoon Teas und Dinners, wohl um weitere Geschäftsbeziehungen zu knüpfen, aber sicherlich auch, so darf man annehmen, um «unter sich» zu bleiben und sich nicht mit den Einheimischen austauschen zu müssen, auf die ohnehin entweder herablassend geblickt wurde oder die in einem (monetären) Abhängigkeitsverhältnis zu den Europäern standen.

Dass man sich wünschte, das Leben auf Madagaskar europäisch zu gestalten, wird deutlich, wenn man liest, dass die Franzosen eine Telegraphenlinie einrichten und dass man Pläne hat, eine Eisenbahn zu bauen. Auch die Häuser werden in europäischem Stil gebaut und unterscheiden sich massgeblich von denen der Einheimischen.

Einmal lernt Otto während eines Kirchenbesuchs, von denen er geflissentlich berichtet, zwei «hübsche junge Ladies» kennen, die sich als Töchter eines Französischen Kaufmanns herausstellten und Otto zur Heirat angeboten werden. Otto muss allerdings ablehnen, denn er muss «vorerst einmal selbst etwas verdienen & eine sichere Existenz haben, bevor ich je im Ernst an einen solchen Schritt denken werde. Darüber könnt Ihr beruhigt sein!»

Die Europäer feiern ihre eigenen Feste auch im Ausland. Otto wird am 4th of July, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, vom amerikanischen Konsul zum Frühstück eingeladen.

«Ungefähr 22 Personen waren anwesend, darunter die vornehmsten Europäer von Tamatave. (Alles Herren!) Die Festlichkeit begann um 11 A.M. & dauerte bis 4 P.M. Der Gouverneur (Howa) & die franz. engl. deutschen & ital. Consul’s waren gegenwärtig. Es wurden Reden gehalten, Klavier gespielt & gesungen. Die Musick des Gouverneur’s füllte die Pausen. An Champagner fehlt es nicht!

Gleichen Abend’s hatten wir (9 Personen) bei Mr. Whitney ein feines Nachtessen. Champagner & andere gute Weine waren genügend zur Verfügung. Ein Howa spielte während dem Essen auf einem Bambusinsthrument. Später wurde getanzt & gesungen. Howa Männer & Frauen wurden bei diesem Anlass engagirt und produzirten sich im National Tanz. Äusserst gemüthlicher & vergnügter Abend.»

Ottos gemietetes, europäisches Haus auf Madagaskar Bild: StadtASG, PA,X,189

10 Tage später folgt der französische Nationalfeiertag 14 Juillet. Man könnte meinen, dass die Franzosen die Amerikaner übertrumpfen wollten, denn nicht nur gab es am Abend des 13. Juli einen Fackelzug durch Tamatave, der von Musik begleitet wurde, sondern auch am 14. selbst «grosse Festlichkeiten (Races etc.) auf einem Platz ausserhalb des Dorfes unter den Mangobäumen».

Am Abend fand ein grosser Ball beim französischen Konsul statt, doch Otto konnte da nicht hin, «da mir die vorgeschriebene full dress suit mangelte.»

Die Haltung der Europäer gegenüber den Madagassen und Mauritiern wird auch deutlich, wenn man sich anschaut, auf welche Art und Weise die Europäer auf dem Land reisten. Weil die Strassen nicht gepflastert sind und das Terrain sandig ist, «lassen sich die Meisten [Europäer] von den Eingebornen in den sogenannten Phitacon tragen.»

Von Tamatave nach Antananarivo

In einem solchen Phitacon, einer Art Sänfte, die er manchmal auch Palanquin nennt, reist Otto Ende Juli 1887 alleine nach Antananarivo. Die Reise von Tamatave nach Antananarivo muss man sich wie eine mehrtägige Wanderung vorstellen: Sowohl die Verpflegung wie auch der Hausrat, eine Waffe, Laternen und eine Schlafgelegenheit müssen mittransportiert werden.

Er engagiert dafür acht Sklaven, von denen je vier ihn abwechselnd tragen «ohne auszuruhen, ausgenommen während der Nacht». Weitere sechs Sklaven sollen ihm sein Gepäck tragen und früher starten, damit alles gleichzeitig ankommt.

Die Konditionen lauten wie folgt: Jeder Mann erhält $ 3.50 für die ganze Reise. Wenn sie die Hauptstadt nicht innert acht Tage erreichen, werden jedem 25 Cent abgezogen. Die Männer erhalten 50 Cent Trinkgeld. Mazoto, der «Captain» der Sklaven, erhält einen extra «Krobo» für das Wasserkochen und für «keeping close to» Otto, was wohl als eine Art Leibwache zu verstehen ist, denn Otto misstraut seinen Sklaven. Er hat nämlich einmal, als er sich mit zwei Amerikanern auf das Land hat tragen lassen, beobachtet, wie vier Sklaven einen Toten in der Sänfte trugen.

Über die Umstände erfahren wir nichts, doch scheint es, als sei Otto dieses Erlebnis in Erinnerung geblieben. Mazoto und ein anderer sollen jede Nacht bei ihm schlafen. «Werde übrigens trachten den Lohn auf $ 3- pr. mann herunterzubringen.» Zu seinem Gepäck gehören Küchen- und Jagdgeräte, ein Medizinkistchen, eine Hängematte, ein Handkoffer und einiges mehr. Zuvor hatte Otto schon sieben Kisten Ware nach Antananarivo geschickt.

Die Route, die sich aus heutiger Warte leider nicht genau nachvollziehen lässt, führt während zehn Tagen zu Fuss und in Gondeln verschiedene Flüsse und Wege hinauf in Richtung Hauptstadt. Zuweilen muss die Gruppe an einem einzigen Tag «über circa 8 Flüsse hinübersetzen.» In Ankera-Madinka engagiert Otto neue Träger, weil er mit den gegenwärtigen unzufrieden ist, und trifft in Manjakandriana drei «charmante Franzosen», die mit dem Bau der Telegraphenleitung beschäftigt sind. Sie laden ihn zum Abendessen ein, sodass Otto am nächsten Mittag gestärkt Antananarivo erreicht.

Die Reise ist wahrlich beschwerlich, denn der Weg ist streckenweise «so schmal, dass kaum Raum genug für eine Person vorhanden & dennoch müssen die Träger des phitacon’s je zwei und zwei neben einander laufen, was oft ein grosses Wagestück erscheint, besonders wenn man kleine Stege zu passiren hat. Der Weg geht immer bergauf & bergab & unten angelangt muss man stets durch einen Fluss oder Bach waten & reicht das Wasser den Trägern manchmal bis an die Hüften.»

Ein anderes Wegstück verläuft über lehmigen und schlammigen Boden, wird von umgestürzten Bäumen blockiert und die «Hohlwege sind mitunter so steil, dass ich mich oft in ganz senkrechter Position befand & es erforderte 8 Mann um meinen Palanquin hinauf & herunter zu bringen.»

Otto erdreistet sich, in dieser Reisebeschreibung über seine Sklaven zu schimpfen: Er habe ihnen fünf Dollar als Trinkgeld geben müssen – in Anbetracht dieser Mühen ein kleiner Trost! –, «denn sie verlangten immer Trinkgelder & trotzdem ich nebstbei noch $ 2.50 extra für Reis & Früchten an sie vertheilte, so schimpften sie immerwährend unterwegs & waren unzufrieden & wenn ich nicht bezahlen wollte, verweigerten sie sich weiters zu gehen. Man ist vollständig in der Gewalt dieser Diebe.»

Otto kommt es während dieser ganzen neun Tage nur einmal in den Sinn, eine Strecke mit den eigenen Beinen zurückzulegen.

  • Der «Palanquin» bzw. «Phitacon» für Ladies... Bild: StadtASG, PA,X,189
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  • ...und für Gentlemen. Bild: StadtASG, PA,X,189
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Auch später berichtet Otto regelmässig vom angespannten Verhältnis zwischen Einheimischen und Europäern. Man müsse sich Schimpf- und Übernamen gefallen lassen und werde gelegentlich mit Steinen beworfen.

Rezeption in St.Gallen

Wortwörtlich am Rande von Ottos Briefen kann man erahnen, wie seine Reise zuhause rezipiert wurde: Zuunterst, nach den Grüssen an die Adressaten – meistens seine Eltern oder sein Bruder, sobald dieser in der Firma Sennhauser tätig ist – und Ottos Unterschrift, finden sich noch viele weitere Grüsse an alle möglichen Leute, die in familiärer, geschäftlicher oder freundschaftlicher Beziehung zu ihm stehen, so beispielsweise «Besste Grüsse an meine lb. [lieben, VZ] Geschwistern, Onkel Ferdinand, Fredy, Otto, Alphonse, Walliser’s [verschwägerte Familie und Geschäftspartner von Sennhauser & Cie., VZ], Familie Boesch, Lüthi, Wettach, Gerschwiler, Hr. Pfarrer Widemann, etc.»

Wir erfahren auch, dass Otto hin und wieder um die Zusendung von verschiedenen Gegenständen bittet: «Wenn Ihr je wieder […] Waare sendet, vergesset nicht einen guten Regenmantel (rubber) Regenschirm, kl. Wasserwaage & Senkblei für mich beizulegen. Eine Hängematte amerik. style wäre auch bequem aber schwerlich zu erhalten. Wilhelm […] hat noch eine aber wird sie wohl nicht gerne geben.» Ein anderes Mal schreibt Otto: «Mit Freuden nehme ich Euer Anerbieten [an] betreffs einem Mosquitonet für mein Bett. Nebstbei wäre mir noch erwünscht: (gelegentlich mit einer Sendung Waare)[:] 1 Kalender[,] 1 mètres & Yardmaass (Stahl) mit Springfeder[,] 1 Pfeffermühle. 1 Cigarrenspitz. (gewöhnlicher!)»

Es werden auch Zeitungen ausgetauscht: Während Otto madagassische Zeitungen in die Heimat schickt, empfängt er immer wieder Ausgaben der «Ostschweiz» – von Tagesaktualität kann kaum die Rede sein, dauerte die Sendung doch zwischen vier und acht Wochen!

  • So lange dauerte der Postversand von Madagaskar bis St.Gallen: Der Poststempel auf der Vorderseite des Couverts (man beachte die knapp gehaltene Adresse!) datiert auf den 20. Mai 1889, als er in Antananarivo aufgegeben wurde. Am 27. Mai wurde der Brief auf La Réunion gestempelt, traf am 24. Juni 1889 in Marseille ein (jetzt auf der Rückseite), wurde dann am 25. Juni 1889 «ambulant» gestempelt und am selben Tag an der Langgasse in St.Gallen empfangen. Bild: Stadtarchiv St.Gallen
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  • So lange dauerte der Postversand von Madagaskar bis St.Gallen: Der Poststempel auf der Vorderseite des Couverts (man beachte die knapp gehaltene Adresse!) datiert auf den 20. Mai 1889, als er in Antananarivo aufgegeben wurde. Am 27. Mai wurde der Brief auf La Réunion gestempelt, traf am 24. Juni 1889 in Marseille ein (jetzt auf der Rückseite), wurde dann am 25. Juni 1889 «ambulant» gestempelt und am selben Tag an der Langgasse in St.Gallen empfangen. Bild: Stadtarchiv St.Gallen
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«Ihr müsst nicht glauben dass Alles Gold ist was glänzt.»

Von Antananarivo aus berichtet Otto viel über geschäftliche Angelegenheiten. Essenziell für ein florierendes Geschäft seien grosse «Capitalien, [ein] eigenes Dampfschiff & Segelschiffe.» Der Handel mit Produkten sei das Beste und mit ihm liesse sich «hauptsächlich auf der Nordwest & Südwestküste» lohnende Geschäfte machen.

Allerdings beginnen die Geschäfte allmählich immer schneller zu scheitern. Im November 1887 schliesslich schreibt Otto: «Hier in der Hauptstadt & in Tamatave ist nicht mehr viel zu machen. Fast täglich finden Auctionen statt & kann man hier Waare billiger kaufen wie in Europa. Jedes Schiff bringt neue Einwanderer nach Madagascar & sind die Meisten mit grossen Sendungen von Waaren versehen in der Hoffnung damit einen guten Profit zu machen. Die Meisten täuschen sich jedoch & müssen oft ihre Artickel circa 20 bis 50% unter dem Kostenpreis absetzen. Die Geschäfte gehen sehr schlecht; die Leute haben kein Geld! American cotton ist der einzige gangbare Artickel Hier, da Alle Einwohner sich mit diesem Stoff bekleiden».

In seinem Brief vom 4. Dezember 1887 berichtet Otto, dass die Seidenstoffe der Firmen, die er vertritt, «nur sehr schweren, möchte fast sagen, gar keinen Absatz» finden, da Seidenprodukte hier nur von Europäern gekauft werden, während die Einheimischen selbst nur Baumwolle tragen und eigene Seidenprodukte wiederum an Europäer verkaufen.

Ein anderes Problem ist offenbar, dass im Verkauf oft gemarktet und für Produkte 50 bis 75% weniger geboten wird und Otto daher «gezwungen ist die Preise entsprechend zu erhöhen.»

Auch die Beziehung zu Wilkinson wird immer schlechter. Otto ändert seine Meinung über ihn grundlegend und warnt seinen Vater, Wilkinson ja keine Ware zu schicken, bevor er nicht die schuldigen Verkaufsrechnungen sendet. Otto gedenkt, einen neuen Vertrag mit einem anderen Vertreter abzuschliessen und Wilkinson nicht mehr zu engagieren, «den Letzterer ist ein zu gefährlicher Kamerad.»

Ein paar Monate später schwebt eine merkbar grössere Resignation in Ottos Briefen mit. «Die Europäer Hier sagen, und ich muss ihnen vollkommen beistimmen, dass man überall im Ausland so viel Wesens macht über Madagascar. Kommen diese Leute hieher so finden sie sich in [ihren] Erwartungen vollständig getäuscht. – Madagascar ist momentan noch nicht das Land, wo man alle seine Pläne ausführen kann & in wenigen Jahren ein reicher Mann werden kann. Ich weiss wohl, in Europa hat man betreffs Madagascar eine ganz verkehrte Ansicht.»

Kurz darauf wendet sich Otto an seinen Bruder, ausnahmsweise nicht an seine Eltern, und teilt ihm privat mit – d.h. er schreibt englisch statt deutsch –, dass der Aufenthalt auf Madagaskar nichts bringe, weil man kein Land kaufen kann (die Regierung verbietet das) und nichts verdient. Er würde sich lieber auf einer Tabakfarm hocharbeiten oder gar eine solche kaufen, als Buch zu führen und viele Briefe zu schreiben. Er ersucht Emil, bei einem Geschäftspartner ein gutes Wort einzulegen, damit Otto nach Sumatra kann, wo jener vermutlich eine Plantage besitzt.

Auch in den folgenden Briefen ist immer wieder von Problemen auf Madagaskar zu lesen, dass Otto sich unwohl fühle und dass Madagaskar ohnehin «eine schlechte Spekulation» sei. Als er im Mai 1888 von Antananarivo zurück in die Küstenstadt Tamatave reist, schreibt er gar: «Die Reise ist sehr ermüdend und weiss ich nicht wie bald ich meine Rückreise wieder antretten werde; vielleicht nie mehr, den Geschäfts halber lohnt es sich kaum!»

Die durch die Firma Sennhauser eingeführten Waren werden schliesslich im August 1888 in der Hauptstadt schnellstmöglich verkauft. Otto hat auch die Beziehung zu zwei seiner Geschäftspartner aufgegeben oder verloren.

Neuanfang in Südafrika?

Es folgt eine grosse Lücke in der Überlieferung. Die nächsten Briefe schreibt Otto aus Südafrika, wo er sich seit dem 1. Februar 1890 aufhält. Auch dort steht alles unter einem schlechten Stern, Otto bleibt monatelang arbeitslos, weil auch dort der Bedarf an Stickereien sehr gering und die Konkurrenz bereits gross ist.

Er kann sich mangels Kontakte von niemandem Geld leihen, findet aber schliesslich übergangsweise eine Stelle als Buchhalter. Seine finanzielle Lage ist zu diesem Zeitpunkt so schlecht, dass er sich nur eine einzige Mahlzeit am Tag leisten kann. Er sieht die aussichtslose Lage ein und schreibt am 6. August 1890: «Heute berichte ich Euch gerne, dass ich nach Hause kommen möchte, denn Hier ist wenig Aussicht auf Erfolg!»

Allerdings: Einen Versuch gibt sich Otto noch. «Sollte in der Zwischenzeit sich Etwas Günstiges für mich Hier vorfinden so bleibe ich vorläufig noch Hier & sende Euch das Reisegeld wieder zurück.»

Die Rückreise verzögert sich denn noch um mehr als ein halbes Jahr und im März 1891 hat sich Otto zum Hauptbuchhalter gemausert. Wohl mit ein Grund, warum er nicht nach Hause reist, ist die Unsicherheit, ob und was für eine Arbeit er in der Schweiz finden würde. Seinen Wunsch nach Selbständigkeit in der Heimat hegt er nämlich noch immer: «Wüsste ich zu Hause (innert einem Jahre!) von etwas Gutem, wobei ich meine eigene Selbstthätigkeit gründen könnte, so würde ich es gerne vorziehen. Denn auf diese Art [als Buchhalter] bleibe ich mein Lebtag ein Angestellter & komme niemals zum Heirathen.»

Und obwohl «Durban der miserabelste Platz denn man sich nur denken kann & […] ein junger Mann Hier sehr einsam & verlassen» ist, darf Ottos Familie «dieses Jahr kaum erwarten dass ich das Vergnügen haben werde Euch zu sehen.» - Der südafrikanische Winter hält ihn zurück, denn dieser ist «wirklich prachtvoll wie ich noch niergends gefunden.»

Die Heimreise

Das letzte Puzzlestück seiner Reise sind knappe Berichte seiner Heimreise, die Otto Sennhauser rund drei Jahre nach seinem letzten Brief, am 28. Juli 1894, antritt. Seine Route ist diesmal eine andere als auf der Hinfahrt: Sie führt ihn von Durban via Kapstadt immer der Küste entlang direkt nach Las Palmas auf den kanarischen Inseln.

Otto notiert in buntem Wechsel zwischen Englisch und Deutsch stichwortartig die Begebenheiten von Wetter und See und freut sich offenbar hin und wieder an Tieren: «Tuesday 31th July: Splendid weather. calm sea. 2 Walfische», «Wednesday 8 Aug. Dasselbe Wetter wie gestern und vorgestern. Fliegende Fische. warmes Wetter» oder «Sunday 19 Aug. fine cold weather simply perfect. hundreds of porpoises [Delfine, VZ].»

In Las Palmas legt das Schiff am 20. August um 2 Uhr nachmittags vor Anker. Der Aufenthalt ist kurz, denn Ottos nächstes Schiff, das ihn weiter Richtung Portugal bringt, legt bereits um 10 Uhr abends am selben Tag ab. Am 23. August passiert Otto Cabo de São Vicente und erreicht nach einem Zwischenstopp am 28. August die Mündung der Themse.

Danach endet die Überlieferung. Otto Sennhauser muss irgendwann den Weg zurück nach St.Gallen gefunden haben. Von ihm existiert im Archiv ein Niederlassungsregistereintrag aus der Zeit nach seiner Reise. Eine Frau hat er schliesslich doch gefunden: Er heiratete am 26. Juni 1902 Maria Franziska Xaveria Müller. Die beiden hatten zwei Töchter. Otto Sennhauser starb am 25. Februar 1936 und liegt heute auf dem Friedhof Feldli begraben.

Quellen

  • Albert Tanner: «Stickerei», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 23.03.2012. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013963/2012-03-23/, konsultiert am 06.02.2023.
  • INSA = Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (Hg.): INSA Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850-1920. Zürich 1996.
  • Privatarchiv der Firma Sennhauser, Stadtarchiv der Politischen Gemeinde St.Gallen, PA,X,189.
Vera Zürcher
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