«… alles fahrt Schii, Schii fahrt di ganzi Nation.» Dieser Hit aus dem Jahr 1963, mit dem Vico Torriani die beliebte Sportart in alle Ohren brachte, dürfte heute zwar nicht mehr gleich bekannt sein, doch hat er keinerlei Wahrheit verloren. Schneesport ist in der Schweiz omnipräsent. Ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung fährt mindestens einmal im Jahr Ski oder Snowboard. (1)
Skirennen erzielen im Fernsehen exzellente Einschaltquoten; gemäss dem Verband Swiss-Ski waren während der Corona-Pandemie 2020 24 der 27 meistgeschauten Sportsendungen auf SRF alpine Skirennen. (2) Schulen und Vereine organisieren Skilager, Orte wie St.Moritz, Davos oder Laax sind international bekannt als Paradiese für Skifahrer und Snowboarder und sogar die Winterferien hiessen früher Ski- oder Heizferien.
Während Förster und Bauern schon vor Jahrhunderten wussten, wie man mit «Ski», eigentlich Fassdauben, dem Schnee trotzt, sind die im 19. Jh. aus Norwegen importierten Ski eine wahre Erfolgsgeschichte.
Schneesport in der Schweiz: Vom Elitenphänomen zum Massentourismus
Wohl am Anfang des 20. Jahrhunderts schreibt ein Mitglied des 1907 gegründeten Alpinen Skiclubs St.Gallen in einem undatierten Brief an die Vereinsmitglieder: «Übt wa[c]kre Kameradschaft, Sommer u[nd] Winter[!] Haltet treu zusammen angesichts der hohen Ideale, die der alpine Ski-Lauf Euch bietet. Es ist nun einmal ein Sport, der wie keiner dazu beiträgt [sic] starke gesunde Menschen zu erziehen, die im harten Kampf ums Dasein nicht zusammenbrechen wie Strohhalme [sic] sondern zäh u[nd] fest wie Wettertannen den Stürmen des Lebens entgegen bolzen.»
Was uns heute pathetisch erscheint, war um die Jahrtausendwende das verbreitete (Selbst-)Bild des Schneesports. Abgesehen vom starken Körperideal, das hier fassbar wird, war er damals nämlich ein Mittel der europäischen und amerikanischen Oberschicht, um der restlichen Gesellschaft zu demonstrieren, dass sie es sich leisten konnte, einer Tätigkeit ohne Zweck, ohne wirtschaftliche Produktivität nachzugehen. Pierre de Coubertin, Begründer des International Olympic Committee (IOC) – von dem im St.Galler Athletikzentrum ein Zitat prominent an der Wand prangt –, beschrieb den Charakter des Sports denn auch als «adlig und ritterlich».
Dass dies heute nicht mehr so ist, wurzelt auf drei Grundpfeilern: Der späten Professionalisierung des Skisports, der Verbindung von Sport und Medien und dem alpinen Tourismus.
Erstens: Die Frage, wo die Grenze zwischen Spitzen- und Amateursport zu ziehen sei, führte in der Sportwelt in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten. Ein Beispiel: An den Olympischen Spielen 1936, an denen die ersten alpinen Skirennen stattfanden, schloss das IOC Skilehrer von den Wettkämpfen aus, weil diese als Profisportler betrachtet wurden. Im Internationalen Skiverband FIS (Fédération Internationale de Ski) galt diese Regelung aber nicht.
So durften Skilehrer also an Weltmeisterschaften, aber nicht an Olympischen Spielen teilnehmen. Der Unmut darüber gipfelte im Boykott der Herren-Skirennen durch die Skiverbände Österreichs und der Schweiz, weil alle Nationalfahrer Skilehrer waren – ein schlechtes Image für die Olympischen Spiele. Das IOC lenkte an den nächsten Olympischen Winterspielen 1948 in St.Moritz ein und Skilehrer durften teilnehmen – aber nur, wenn es sich dabei um eine Nebeneinkunft handelte.
Besonders das IOC sperrte sich lange gehen die Professionalisierung des Sports, weil das für das Komitee einen Kontrollverlust über die Regeln, die Wettkampforganisation und die eng an den Amateurstatus gebundenen Teilnahmebedingungen für Sportler bedeutete. Erst 1981 verzichtete der IOC-Kongress den weitgehenden Verzicht auf die Amateurregel. Eine Folge davon ist, dass früh professionalisierte Sportarten wie Fussball oder Tennis in Olympischen Spielen kaum Beachtung finden und dass umgekehrt die Olympischen Spiele in diesen Sportarten nicht dieselbe Wichtigkeit wie etwa Weltmeisterschaften haben.
Zweitens: Zeitungen, Radio und Fernsehen spielten und spielen bei der Entwicklung der Kommerzialisierung und Professionalisierung des Sports eine Schlüsselrolle. In London, wo Sportwetten ein beliebter Zeitvertreib waren, unterstützte die Zeitschrift «The Sporting Magazine» Glücksspieler schon 1791 bei der Platzierung ihres Einsatzes. Die erste Schweizer Fachzeitschrift «La Suisse Sportive» erschien 1897 alle 14 Tage.
Mit der Telegrafie wurde die schnelle Kommunikation zwischen Journalistinnen und Journalisten vor Ort und der Redaktion möglich und neben den Fachzeitschriften begannen sich – allerdings erst in der Zwischenkriegszeit – auch gehobenere Zeitungen wie beispielsweise die NZZ, die bisher nur punktuell über Turn- und Schützenfeste berichtet hatte, für die Einnahmen zu interessieren, die sie mit speziellen Sportseiten generieren konnten. Zur selben Zeit etablierte sich das Radio als neues Medium. Durch die Tonübertragung konnten erstmals Menschenmassen ausserhalb der Stadien und Arenen an Sportveranstaltungen teilhaben.
1923 wurde das Fussball-Länderspiel Uruguay-Schweiz live aus Paris in die Tonhalle in Zürich übertragen, da private Radios noch eine Seltenheit waren. Zehn Jahre später war das Radio als Sportübertragungsmedium schon so erfolgreich, dass der Tessiner Sender «Monte Ceneri» zusammen mit Sportverbänden das Radrennen «Coppa Pro Radio» organisieren konnte. Diese frühe allgemeine Begeisterung für Sport und der hohe Stellenwert der Sportberichterstattung zeigt sich auch darin, dass die SRG 1934 täglich News einer Sportnachrichtenagentur übernahm.
Ähnlich war die anfängliche Verbreitung privater Fernsehgeräte: Bis in die 1950er-Jahre noch eine Seltenheit, war es doch für Privatpersonen nur bedingt möglich, Sportevents von zuhause aus zu schauen. Viel einfacher und günstiger war das, was wir heute «public viewing» nennen: Der Besuch von öffentlichen «Fernsehstuben» oder «Grossbildstellen», wo Bilder auf Leinwand projiziert wurden.
In späterer Zeit liess sich immer wieder feststellen, dass vor globalen Events wie den Olympischen Spielen oder Fussball-Weltmeisterschaften die Verkaufszahlen von Fernsehgeräten in die Höhe schnellten. Die Schweizer Nachrichtensendung «Antenne» strahlte schon Ende der 1960er-Jahre die «Geschichte des Skilaufs» aus und spätestens der im Fernsehen nachzuverfolgende Schweizer Olympia-Medaillenerfolg von Bernhard Russi, Marie-Theres Nadig, Edmund Bruggmann und Werner Mattle in Sapporo 1972 garantierte der Sportart nachhaltige Beliebtheit.
Diese Welle nutzte die noch heute mit (Schnee)Sport assoziierte Marke Ovomaltine für sich, denn im selben Jahr wurde der «Ovomaltine Grand Prix» (heute «Grand Prix Migros») lanciert, ein von Ovomaltine gesponserter und vom Schweizer Skiverband SSV (heute Swiss-Ski) organisierter Anlass für Kinder- und Jugendrennen, der den Nachwuchs früh für Skirennen begeistern und es ermöglichen sollte, früh neue Talente zu erkennen.
Das war vielleicht mit ein Grund für Ovomaltine, ihr Produkt noch Jahre später mit Skisport zu bewerben, wie es dieser Werbespot aus dem Jahr 1999 zeigt. Noch vor knapp 10 Jahren besuchte auch Didier Cuche als «Ovo-Botschafter» die Ovomaltinefabrik.