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Stadt St.Gallen
09.04.2022

Mundart-Kolumne «Hopp Sanggale!»

Bild: pd
Susan Osterwalder-Brändle erforschte während Jahren den St.Galler Dialekt. Mit «Hopp Sanggale!» entstand ein Werk mit rund 3000 Mundartbegriffen und Redensarten, die zum Teil schon in Vergessenheit geraten sind. Auf stgallen24 leben sie wieder auf. Heute: «Chettleblueme».

Chettleblueme (weiblich) steht für Löwenzahn

Sie erfreuen unser Herz und stehen wie kaum etwas anderes stellvertretend für den jungen Frühling, wenn sie in grosser Anzahl, ganze Wiesen in zauberhafte sonnengelbe Teppiche verwandeln. So schnell wie sie aufgeblüht sind, verwandeln sie sich in puschlige Pustekugeln, um alsbald in der grünen Unauffälligkeit wilder Wiesenflächen unterzutauchen.

Was haben wir sie als Kinder geliebt, die dicken, gelben Chettleblueme. Es liessen sich damit wunderbare Frühlingssträusse machen – wobei man zuhause ermahnt wurde, bloss keine Mose (Flecken) auf den Kleidern zu hinterlassen. Der milchige Saft der Löwenzahns hinterliess davon nämlich reichlich, wenn man nicht höllisch aufpasste. Übermütig steckten wir die Blüten und Stengel so ineinander, dass sich eine Kette oder ein Haarkranz flechten liess. Entsprechend waren auch unsere Gesichter mit den sich braun färbenden Spritzern des Milchsaftes übersät.

Ein kreatives Duo waren indessen Chettleblueme und Geisseblüemli (Gänseblümchen). Der Saft des Löwenzahns liess sich auch als Kleber verwenden. So tupften wir Mädchen uns den Saft auf die Ohrläppchen und drückten für ein paar Sekunden ein Geisseblüemli drauf, so dass wir mit natürlichem Ohrschmuck auftrumpfen und die Buben betören konnten. Wenn man dann wissen wollte, ob der Auserwählte einen selbst oder doch eher das Gspänli von Nebenan toll fand, zupfte man den armen Blüten alle Blätter aus. «Er liebt mich, er liebt mich nicht...» Mit den Geisseblüemli machte das Orakel allerdings nur Sinn, wenn man viel Zeit hatte. Für die Ungeduldigen empfahl sich, ein Margrittli zu nehmen; die hatten wesentlich weniger Blütenblätter…

Doch woher kommt eigentlich der Name Löwenzahn?

Der Löwenzahn hat im Volksmund etwa 500 verschiedene Bezeichnungen. Einige davon sind (im deutschen Sprachraum) Milchstöck, Kettenblume, Kuhblume, Hundeblume, Hundslattich, Pusteblume oder Butterblume. Ferner Teufelsblume, Pfaffenplatte, Bettnässer, Bettschisser, Pissblume oder Pissnelke – das vor allem seiner harntreibenden Wirkung wegen. Den Namen Löwenzahn erhielt die Pflanze ihrer gezähnten Blätter wegen. Der Gattungsname Taraxacum stammt aus dem arabischen; die Pflanze soll von den damaligen Ärzten Tarakshagan genannt worden sein. Der Artname «officinale» weist auf die Verwendung als Arzneipflanze hin. Speziell an den Chettleblueme ist übrigens auch ihre Ausrichtung zur Sonne hin. Die Blüten reagieren auf die Helligkeit. Wird es dunkler, schliessen sie sich. Strahlt die Sonne vom Himmel, dann sind sie geöffnet.

Für den Löwenzahn, oder eben die Chettleblueme, waren oder sind auch in der Ostschweiz unterschiedliche Beschreibungen geläufig: Schwiiblueme, Säublueme, Milchblueme, Sonnwendlig, Läuezaa, Bettseicher, Buggele und sicher noch einige mehr. In Österreich klingt das ganze wie meistens gemütlicher und mit dem nötigen «Schmäh»: Schmölchn, Maiblutschn, oder Mülibuschn.

Ganz besonders gefällt mir für einmal der Audruck für Löwenzahn, der im Kanton Zürich gebraucht wird: «Chrottepöschä!»

Im Schweizerischen Idiotikon finde ich einen Eintrag zum Thema «Krudpöschlin» also Chrottepösche aus dem Jahr 1572. Der Wortteil «pösche» dürfte vom «Büschel» hergeleitet worden sein. Was die «Chrotte» aber damit zu tun haben? Immerhin fallen alljährlich die Krötenwanderungen landauf landab ziemlich genau auf den Beginn der Blütezeit der Chettleblueme.

Die Chettleblueme ist übrigens nur ein Beispiel, wie tief unser Dialekt auch in der heimischen Botanik verankert ist. Ich bin mir bewusst, dass heute viele Menschen nicht mal mehr den deutschen Namen einer Pflanze kennen, geschweige denn ihren lateinischen oder ihre eigene Mundartbezeichnung dafür. Dabei gibt es so viele entzückende Mundartwörter in diesem Bereich. Bachbummele, Lebereblüemli, Lungeblüemli, Ankebälleli, Büseli, Chäslichrut, Pantöffeli, Pfiifebotzerli, uvm.

Übrigens verwende ich – um zur Chettleblueme zurückzukehren – nur die jungen Blätter des Löwenzahns, den man keinesfalls aus dem Garten verbannen sollte. Im Frühling zusammen mit junger Blutampfer und Vogelmiere in den Salat geschnippelt, ergeben sich feine, leicht bittere und zur Saison passende Geschmacksvarianten. Löwenzahn ist leberreinigend und leberstärkend, enthält viele Vitamine und Mineralstoffe und seine Bitterstoffe sind für den zivilisationsgeschädigten Magen reinste Medizin. Dabei wirkt er wie erwähnt blutreinigend und hartreibend. Wohlgemerkt, ich verwende ihn jung und zart aus dem eigenen Garten und nicht von gedüngten, mit Gülle besprühten Wiesen oder von Vierbeinern gutfrequentierten Pörtli und Wegrändern...

Susan Osterwalder-Brändle, stgallen24-Kolumnistin
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