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Stadt St.Gallen
06.11.2020
08.11.2020 11:03 Uhr

Was Richard Wagner und Karl May mit der «Oberwaid» zu tun haben

Bild: PD
2012/2013 schrieb der ehemalige St.Galler Stadtarchivar Ernst Ziegler eine Auftragsarbeit «Zur Geschichte der Unteren und der Oberen Waid», die nie veröffentlicht wurde. Daraus werden hier das Kapitel «Richard Wagner und seine Kuren» veröffentlicht sowie ein Abschnitt, Karl May betreffend, aus dem Kapitel «Sanatorium Oberwaid».

Im Jahr 1854 kaufte der Naturarzt und Schriftsteller Hermann Theodor Hahn (1824-1833) das „Gasthaus zur Waid“, die Untere Waid, unmittelbar an der Rorschacher Strasse, und richtete dort eine Wasserheilanstalt ein. Er führte diese Heil- und Kuranstalt bis 1869. Dann errichtete er ein neues Kurhaus, die Obere Waid, die er bis zu seinem Tode 1883 leitete.

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Richard Wagner und seine Kuren

Über Wasserbehandlungen, Wasserheilanstalten, Kurvorschriften und Kuren aller Art erfahren wir aus der Autobiografie und aus Briefen Richard Wagners einiges, das hier als Illustration zu diesem „Modetrend“ des 19. Jahrhunderts angeführt werden soll. Im Sommer 1851 beschloss Wagner, aus der von ihm „so enthusiastisch aufgenommenen Wasserheiltheorie zum praktischen Ernste überzugehen“, und er erkundigte sich „nach einer nahegelegenen hydropathischen Anstalt“. Er fand diese in der Nähe von Zürich, im „etwa drei Stunden entfernten Albisbrunnen“, wo er sich dann im September „so vortheilhaft wie möglich“ einrichtete.

Über die Kur, die „nach der herkömmlichen oberflächlichen Methode betrieben“ wurde, schrieb Wagner in „Mein Leben“: „Früh um 5 Uhr zum Schwitzen eingewickelt, nach einigen Stunden in ein endlich nur noch vier Grade Wärme enthaltendes Bad gestürzt, worauf zur Erwärmung eine heftige Promenade durch den bald eisig sich einstellenden Spätherbst. Dazu Wasser-Diät ohne Wein, Kaffee oder Thee, eine schreckliche Tischgesellschaft von lauter Inkurabeln, traurige Abende mit endlich hülfreich herbeigezogenem Whistspiel, Fernhaltung jeder geistigen Arbeit, dazu wachsende Anstrengung und Ueberreizung der Nerven; diess war das Leben, in welchem ich neun Wochen aushielt, und von welchem ich eigentlich nicht eher ablassen wollte, als bis, wie ich erwartete, alle jemals genossenen Medikamente auf meiner Haut erscheinen würden. Da ich selbst den Wein für grundgefährlich hielt, so nahm ich an, ich müsste auch von den vergangenen Gastereien bei Sulzer noch in mir verbliebene unassimilirbare Substanzen zum Ausschwitzen bringen. Das höchst entbehrungsvolle Leben in einer dürftigen Kammer mit harten Holzmöbeln und all dem nüchternen Hausrathe der bekannten Schweizer-Pensionen, erzeugte nun in mir zu seinem Gegensatz die Sehnsucht nach einer besonders angenehmen und behaglichen Häuslichkeit, welche jetzt für lange Zeit zu einem, mit den Jahren sich immer mehr ausbildenden, wohl fast leidenschaftlichen Hange wurde.“

Im November 1851 schrieb Wagner über seine Kur in Albisbrunn seinem Freund Theodor Uhlig (1822-1853), Musiker, Komponist und Publizist, nach Dresden: „Jetzt treibe ich's täglich folgender Maaßen. 1., früh halb 6 uhr nasse Einpackungen bis 7 uhr; dann kalte wanne und promenade. 8 uhr frühstück: trockenes brod und milch oder wasser. 2., sogleich darauf ein erstes und zweites Klystier; nochmals kurze promenade; dann eine kalte kompresse auf den bauch. 3., gegen 12 uhr: nasse Abreibung; kurze promenade; neue kompresse. Dann mittagessen auf dem Zimmer mit Karl [Ritter], der verhütung von ungeneißigkeit wegen. Eine stunde faullenzen: starke promenade von zwei stunden – allein. 4., gegen 5 uhr: wieder nasse Abreibung, und kleine promenade. 5., Sitzbad von einer viertelstunde um 6 uhr, mit folgender erwärmungspromenade. Neue kompresse. Um 7 uhr abendessen: trocken brod und wasser. 6.darauf: ein erstes und zweites Klystier; dann Whistparthie bis nach 9 uhr. folgt noch eine neue Kompresse, und gegen 10 uhr geht's in's bett.“

Fährt einem „modernen“, halbwegs gesunden Menschen bei der Beschreibung dieser Kur schon ein kalter Schauer durch die Glieder, verstärkt sich selbiger noch, wenn man die Folgen dieser Prozedur erfährt: „Dieses régime halte ich jetzt sehr gut aus: vielleicht steigre ich's sogar noch. Vier wochen habe ich Schwefel geschwitzt: dann ist mein nasses tuch hellrötlich geworden; man versichert mir, dieß rühre von Merkur [Schwefelquecksilber] her. Sehr starke Ausdünstung bei großer leibeswärme. Meine flechten sind alle wieder gekommen: jetzt gehen sie allmälig wieder fort. – Wenn ich wieder in Zürich bin, setze ich die Kur fort; arbeiten werde ich wenig: nur ab und zu entwerfen und skizziren. Thut es noth, so muß mich meine frau selbst einpacken. Sehr strenge Diät.“

Über seine „strenge Wasserdiät“ schrieb Wagner seinem Freund; sie bekomme ihm „außerordentlich·gut“: „Kein Wein, kein bier, keinen Kaffee, – sondern nur: Wasser und kalte Milch. Keine Suppe, sondern alles kühl und lau. Früh im Bett 3 bis 4 Gläser kaltes Wasser, dann Abwaschung und kaltes Klystir. Mittag bad im See, oder Sitzbad. Die Klystire bekommen mir sehr gut. Mein Magen, der bereits bedenklich schlecht wurde, ist gut: ich fühle mich im Unterleibe leicht. Während des Tages trinke ich fortwährend viel Wasser: sogleich nach dem Essen halte ich mich ein halbes stündchen im Freien auf u.s.w. – Der Kopf ist mir bedeutend leichter, nur oft etwas blöd; vermuthlich ist dieß die nächste Wirkung. Dieß setzte ich nun unbedingt fort, da ich fühle wie es mir gut thut; auch thue ich's gern, und namentlich habe ich bei Wasser und Milch Wohlgeschmack und guten Appetit. – Am Ende bekomme ich mehr Gesundheit, als ich damit anzufangen weiß! Sage mir, was fange ich damit an?“

Wagner soll „zeitlebens an einer schweren Allergie gegen Wolle und wiederholt an akuten Hauterkrankungen“ gelitten haben. Später (Mai 1852) führte Wagner nach Vorschriften des Pariser Hydrotherapeuten Karl Lindemann „eine häusliche Wasserkur aus“. Diese bestand „außer der Diät – von der ab und zu ein glaß guter wein nicht ausgeschlossen ist – in einem kalten bade des morgens und einem viertelstündigen lauen (22 grad) des abends“.

Am 8. November 1852 schrieb Wagner aus Zürich an Hahn nach Tiefenau u.a.: „Daß Ihnen meine Schriften Interesse erregt, macht mir große Freude: Sie sehen, wie von den verschiedensten Ausgangspunkten her derselbe Zielpunkt in das Auge gefaßt werden kann; Gesundheit wollen wir Alle. Fast möchte ich aber alles Uebrige um die wirkliche physische Gesundheit fahren lassen! [...] Wenn Sie nur nicht in dem etwas schaurigen Tiefenau säßen! Dr. Witzmann will sein Grundstück auf dem Zürichberg vermiethen (oder verkaufen) – ich glaube, Sie könnten wohlfeil dazu kommen: Das wäre doch etwas für Sie! Wie lieb würde mir’s sein, Sie hier zu wissen! Hoffentlich besuchen Sie Zürich bald einmal, und ich gewinne Gelegenheit Sie zu sehen und zu sprechen? Mit dem Wunsche, dies hoffen zu dürfen, empfehle ich mich Ihnen hochachtungsvoll als Ihren sehr verbundenen Richard Wagner.“

In einem Brief Wagners vom 13. November 1852 an eine „beste Freundin“ steht: „Neuerdings fand ich aber Gelegenheit zu erfahren, daß die so wunderschöne Wasserheilanstalt auf dem Zürichberg (Sie kennen sie ja!) zu verkaufen oder auch billig zu vermieten sei. Ich theilte dies augenblicklich Hahn mit, und hatte die Freude, diesen sogleich hier ankommen zu sehen, um sich wegen der Entlehnung des Grundstückes zu bemühen. Es steht zu hoffen, dass der Plan reüssirt. [...]“ Dieser Plan reüssierte dann aber nicht, was Wagner am 28. Dezember 1852 Julie und Otto Kummer mitteilte: „Der Hahn hat hier nicht wieder gekräht, er schafft jetzt Tiefenau zum Paradies um.“

Ob Richard Wagner Hahn getroffen hat, als er im November 1856 sich in St.Gallen aufhielt und „im Gasthof ,zum Hecht’“ logierte, wissen wir nicht. Ebenso ist nicht bekannt, ob Hahn das Konzert besucht hat, das Wagner zusammen mit Franz Liszt am 23. November 1856 in der „Brückenwaage“ an der Bahnhofstrasse gab. Wagner hätte auch die „Hahn’sche Kuranstalt“ in der Unteren Waid besuchen können, als er am 27. November seinen Besuch „das Geleite nach Rorschach gab“.

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Die „Oberwaid“ bei Karl May

Ein Inserat im „Illustrierten Führer durch St.Gallen“ von 1897 erwähnt den Sanitätsrat Dr. med. Eugen Karl Heinrich Bilfinger (1846-1923) als Direktor des „Sanatoriums Oberwaid“. Bilfinger war Arzt, Naturheilkundler und Schriftsteller und „dirigierte“ die „Oberwaid“ von 1897 bis 1899. Bilfinger soll ein „unruhiger Geist“ gewesen sein. Er war ein Gegner des Impfzwangs und ein „kämpferischer Vertreter der Naturheilkunde, die er in Reden und Büchern vehement vertrat“.

Im Niederlassungs-Register der Gemeinde Tablat steht, Im April 1899 sei Bilfingers Heimatschein „an seine Adresse nach Hirschberg in Schlesien“ geschickt worden. Nach dem Aufenthalt im Riesengebirge und „nach leitenden Positionen in mehreren Heilanstalten“ wurde Bilfinger 1912 leitender Arzt im Sanatorium des Naturheilkundlers Friedrich Eduard Bilz (1842-1922) in Oberlössnitz (heute Stadtteil von Radebeul), wo er bis zu seinem Tode blieb. Eduard Bilz war ein Freund von Karl May (1842-1912), der sich auch im Sanatorium von Bilz kurieren liess. Aus dem Jahr 1907 existiert ein Photo mit den Familien May und Bilz anlässlich der Hochzeit einer Tochter von Friedrich Eduard Bilz. Ob Dr. Bilfinger Karl May noch in der „Bilz Naturheil-Anstalt ,Schloss Lössnitz’“ in Oberlössnitz getroffen hat, ist ungewiss; Karl May starb am 30. März 1912. Er nahm Eduard Bilz als Vorbild für den Barbier Hermann Rost in der Reiseerzählung „Weihnacht“ von 1897.

In diesem kitschigen Roman steht: „Gestatten Sie, Mylord, dass ich Sie über meine Person unterrichte. Ich heiße Hermann Rost, ich bin ein Deutscher und meines Zeichens Barbier. Mein Herzenswunsch war, Medizin zu studieren, aber meine Eltern waren zu arm dazu; darum wählte ich den erwähnten Beruf, den man eine Vorstufe zu dem erstrebten Ziel nennen kann. Ich habe dieses Ziel während meiner Lehrlings- und Gehilfenzeit stets vor Augen gehabt und stets fleißig gearbeitet. Zwei Gymnasiasten, die bei meinem Prinzipal wohnten, unterstützten mich im Latein, das ich jetzt wenigstens soweit kenne, wie ein Arzt es beherrschen muss. Ich verwendete meine geringen Ersparnisse dazu, mir die einschlägigen Werke zu kaufen, und habe alle meine freie Zeit damit zugebracht, mir ihren Inhalt zu eigen zu machen. An den Besuch einer Universität konnte ich freilich nicht denken; dazu fehlten mir die Mittel. Wenn ich eine Hochschule besuchen wollte, so konnte das nur in Amerika sein. Ich ging also nach Harnburg und nahm, um nicht zahlen zu brauchen, Arbeit auf einem nach New York bestimmten Segelschiff. Hier in den Staaten wurde ich wieder Barbier, doch mit dem Unterschied, dass es mir gelang, nebenbei das Columbia-College zu besuchen. Ich will Sie, Mylord, nicht mit einer langen Erzählung belästigen; es genügt, zu sagen, dass ich vor einem halben Jahr die St.-Louis-Universität mit guten Zeugnissen verlassen habe. [ ... ]

Ich bin Mediziner, mag aber von Medizin, wie sie von unseren Ärzten verordnet wird, nichts wissen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass der kranke Körper, wenn er überhaupt noch Lebensfähigkeit besitzt, keine fremden, wohl gar giftigen Stoffe in sich aufzunehmen braucht, um wieder gesund zu werden. Die durch die Krankheiten verursachten Störungen im menschlichen Körper müssen durch die Natur selbst wieder ausgeglichen werden, wobei ich aber keineswegs behaupte, dass diese Ansicht auf alle Krankheiten und auf alle Arzneimittel anzuwenden wäre. Ich habe mir vorgenommen, auf diesem Weg weiterzugehen, und bin der Meinung, dass sie so genannten wilden Völker, weil sie auf die Natur angewiesen sind, meiner Überzeugung anhängen. Darum entstand in mir der Gedanke, nach dem Westen zu gehen, um bei irgendeinem Indianerstamm meine Studien zu treiben.“

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Ernst Ziegler
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