Konkret bedeutet die solare Grundversorgung, dass jeder Mensch in St.Gallen ein persönliches Solarstrom-Budget von 500 Watt erhält, so die EMPA-Forschenden. Das entspricht etwa 4400 Kilowattstunden pro Jahr – ausreichend, um die Stromlücke zu füllen, die durch den Ausstieg aus fossilen Energieträgern entsteht.
Der Strom wäre jedoch nur verfügbar, wenn die Sonne scheint, da das Modell bewusst auf öffentliche Speicherlösungen verzichtet. Dies fördert ein solares Verbrauchsverhalten: Strom wird vor allem dann genutzt, wenn er produziert wird – eine sogenannte «Sonnenblumengesellschaft». Überschüssige Energie könnte verkauft oder zum Beispiel für Elektromobilität oder geteilte Infrastrukturen genutzt werden.
21 Quadratmeter Solarfläche pro Person
Die EMPA-Forschenden haben ihr Konzept der solaren Grundversorgung am Beispiel Schweiz durchgerechnet; man kann daraus aber interessante Aspekte für eine Stadt ableiten. Für die Umsetzung in St.Gallen wäre eine Solarpanel-Fläche von rund 21 Quadratmetern pro Person erforderlich. Insgesamt entspräche dies etwa einem Drittel aller Dachflächen der Stadt.
Diese könnten durch kommunale Gebäude, Wohnhäuser, Industriehallen, Parkplätze oder Infrastrukturbauten wie Lärmschutzwände oder Bahntrassen bereitgestellt werden – eine Umnutzung von neuem Boden wäre nicht nötig. Die öffentliche Hand würde den Ausbau koordinieren, etwa über die St.Galler Stadtwerke oder eine eigens gegründete Energiegesellschaft. Der erzeugte Solarstrom würde über ein digitales System als Guthaben an die Einwohner:innen verteilt.
Amortisiert in sieben Jahren
Die Investitionskosten für die Stadt belaufen sich bei rund 80’000 Einwohner:innen auf etwa 530 Millionen Franken über fünf Jahre. Diese Summe könnte über einen kommunalen Energiefonds, kantonale Beiträge, nationale Klimafinanzierung oder Bürgerbeteiligung finanziert werden. Die Einsparungen wären erheblich: Heute gibt St.Gallen jährlich geschätzt rund 150 Millionen Franken für den Import fossiler Energieträger aus.
Bereits sechs bis sieben Jahre nach Inbetriebnahme würde sich die Investition amortisieren – obwohl das System nicht auf Gewinn ausgelegt ist. Langfristig kämen lediglich rund 6600 Franken pro Person alle 30 Jahre für die Erneuerung der Infrastruktur hinzu – etwa ein durchschnittlicher Bruttomonatslohn.
Lokale Wertschöpfung
Eine weitere zentrale Rolle spielt der Arbeitsmarkt. Für die Umsetzung innerhalb von fünf Jahren bräuchte es in St.Gallen rund 400 Vollzeitkräfte – viele davon könnten durch kurze Schulungen in sogenannten Solarcamps abgedeckt werden. So könnten Jugendliche, Quereinsteiger:innen und Arbeitslose schnell für Installationen geschult werden.
Auch ein «Solarjahr» als Alternative zum Zivildienst wäre denkbar. Damit würde nicht nur Know-how aufgebaut, sondern auch lokale Wertschöpfung geschaffen: Während heute grosse Teile der Energieausgaben ins Ausland fliessen, bliebe ein erheblicher Teil der Investitionen in der Region.
St.Gallen könnte so zur «Sonnenstadt der Zukunft» werden: klimaresilient, solidarisch, energieautark – und ein Modell für viele andere Städte, die sich auf den Weg in eine postfossile Gesellschaft machen wollen.
(1) Desing H., Schlesier H., Gauch M.: Solar basic service—an idea for just acceleration of the energy transition, Progress in Energy (2025): doi: 10.1088/2516-1083/adc370 oder auch hier: https://www.empa.ch/web/s604/solar-basic-service