Dann aber erreichte Daniel Schlatter ein wichtiger Brief aus St. Gallen, und er verliess am 15. Oktober 1822 die Moletschna. Ali schenkte ihm ein Pferd mit Sattel und Zaum, und er wollte seinen Freund vom Dorf Dömenge «über die öden Steppen bis auf die groβe Poststraβe bei Cherson begleiten». Nach drei Tagen begegneten sie Deutschen, die nach Odessa reisten, so dass die beiden Freunde sich trennten. Beim Abschied schloss Ali «mit dem aufrichtigen Wunsche», dass Daniel «bald wieder glücklich zurückkommen möchte».
Durch die kaum bewohnte, wasserlose Steppe, auf der sich «nur in groβen Entfernungen ein Dorf», eine Kaserne oder «ein elendes Wirthschaftsgebäude» zeigte, kamen die Reisenden an den Dnjepr. Schlatter schrieb, er sei jeden Tag etwa siebzig Kilometer geritten, «was in diesen Gegenden wenig ist». Bei Beryslaw überquerten sie den Dnjepr, wo «die groβe, mit steinernen Werstpfählen versehene Poststraβe» angetroffen wurde.
Die Reise ging dann weiter über den Inhulez nach Cherson, «einer groβen Stadt an dem Ausflusse des Dnjepers in das schwarze Meer». Bei Nikolajew, «einer groβen Stadt mit vielen schönen Gebäuden und breiten Straβen», wurde der Bug überquert. Hier lag ein Teil der russischen Kriegsflotte. Schlatter kam schliesslich nach Odessa, «einer der schönsten Städte Ruβlands», die 1794 auf Anweisung der Kaiserin Katharina II. (1729-1796), die man «die Grosse» nannte, gegründet worden war.
KATHARINA IN SÜDRUSSLAND
Die russische Zarin gewann durch zwei Kriege gegen das Osmanische Reich 1783 die weiten Küstengebiete des Schwarzen einschliesslich des Asowschen Meeres vom Kaukasus bis zum Dnjestr (Taurien) und die Krim. In der Folge kam es zur Gründung neuer Dörfer und Städte wie etwa Cherson, Nikolajew, Sewastopol. Später begann eine gezielte Ansiedlung von vor allem Deutschen und Schweizern.
Katharina reiste 35 Jahre vor Daniel Schlatter Anfang Januar 1787 allerdings nicht alleine, sondern mit grossem Gefolge nach dem «südlichen Ruβland». Von ihrer Residenz Zaraskoje Selo bei Sankt Petersburg zog der Tross auf dem Landweg nach Kiew, das die Zarin «abscheulich nannte». Hier musste sie sich drei Monate aufhalten bis das Eis des Dnjepr geschmolzen war. Dann ging sie am 22. April an Bord ihrer Galeere, um auf dem Fluss nach Cherson zu reisen, wo sie am 12. Mai ankam.