Über fünfzig Jahre sind vergangen, seit die Ulrichskirche das letzte Mal umgestaltet wurde. Ein halbes Jahrhundert, in dem sich die Gesellschaft und mit ihr auch die Kirche und das Pfarreileben grundlegend verändert haben; das gilt sowohl in Bezug auf die Tiefgründigkeit des Wandels als auch auf das Tempo.
Diagnose des gesellschaftlichen Wandels
Die Volkskirche existiert, wenn überhaupt noch, arg geschrumpft, in Form einer mehrheitlich passiven Mitgliedschaft. Im aktiven Pfarreileben ist nur noch eine Minderheit regelmässig präsent. Die Gruppe der Kirchendistanzierten und der Konfessionslosen ist in den letzten Jahrzehnten markant gestiegen.
Religiöse, spirituelle und existentielle Lebensfragen haben an Plausibilität eingebüsst. Sie fristen höchstens noch ein privatisiertes und an den Rand gedrängtes Dasein; gesellschaftlich sind sie jedenfalls nicht gross der Rede wert. Der Bezug zur christlichen Tradition geht mehr und mehr verloren und macht einer gewissen Entfremdung Platz.
Drängende Fragen zu einer Renovation
Was bedeutet das nun in Bezug auf eine anstehende Kirchenrenovation? Angesichts der obigen Analyse wäre ja eine adäquate wie auch radikale Schlussfolgerung: Die Ulrichskirche wird endgültig aufgegeben. Es besteht schlichtweg kein Bedarf mehr dafür.
Und angesichts knapper werdender Steuereinahmen ist eine teure Restauration und auch ein späterer Unterhalt eines solchen historischen Gebäudes mehr als gewagt. Schliesslich besitzt ja die Kirchgemeinde im Kronbühl eine weitere kirchliche Infrastruktur.
So radikal dann doch nicht
So rigoros wurde die Frage nach der Renovation von St.Ulrich schliesslich nicht beantwortet, auch wenn die gesellschaftlichen Veränderungen fundamental und die sich daraus ergebenden Anfragen gewichtig sind. In der allgemeinen Wahrnehmung ist die Ulrichskirche halt eben doch noch die Dorfkirche, und so ist es sicher angezeigt, die Kirche, soweit möglich, «im Dorf zu lassen».
Die Kirchgemeinde hat daher die Verantwortung übernommen, ein bereits 350-jähriges Projekt in die Zukunft zu führen. Dabei ging es aber nicht nur um Unterhalt und Werterhaltung, sondern auch um die Anpassung und Veränderung des Innenraums an die Bedürfnisse der Pastoral in der heutigen Zeit.
Weiter steht die Kirche unter Bundesschutz. Damit ist eine weitere Verantwortung gegeben, die der Kirchgemeinde aufgetragen ist. Der Denkmalschutz setzt klare Grenzen des Möglichen, sorgt aber auch dafür, dass die Grundgestalt und die Formensprache der Kirche gewahrt bleibt. St.Ulrich verbindet uns so weiterhin als historische Zeugin mit einer ganz anderen Zeit und Epoche.
Bewahren und Neugestalten
Das Spannungsfeld, in dem sich eine Renovation eines über 300-jährigen Gebäudes bewegt, ist so deutlich geworden. Letztlich geht es darum, eine gute Balance zu finden zwischen all den zu berücksichtigenden Vorgaben, Abhängigkeiten und Wünschen. Neben den verschiedenen Umgestaltungen, die mit einer Besichtigung vor Ort zu entdecken sind, wird hier ein Aspekt aufgegriffen und ausführlicher dargestellt. Daran kann sichtbar werden, wie auch gesellschaftliche Veränderungen in Überlegungen für eine Kirchenrenovation einfliessen können.
Allein als religiösspirituell konnotiertes Gebäude auf einem Hügel sendet ein Kirchengebäude eine Botschaft aus. Je nach Standpunkt kommt diese bei den Menschen unterschiedlich an: Als Erinnerung, als Mahnung, als Provokation, als Trost, als Missionierung, als Anfrage, als Beheimatung. Der moderne Mensch möchte selbstbestimmt entscheiden, wie er sich zu spirituellen oder existentiellen Fragen stellt. Er möchte selber festlegen, wie nah oder wie distanziert er sich zum Beispiel in Bezug zur christlichen Kultur und Tradition definiert.
Unterschiedliche Stufen einer Annäherung eröffnen vielleicht eine Offenheit und Freiheit, die es jeder und jedem ermöglicht, für sich selber das zu finden, was persönlich weiterhilft. Annäherungsschritte im Draussen haben eher indirekt mit der Renovation zu tun, die Umgestaltungen im Innern aber haben diesbezüglich einen neuen Akzent gesetzt.
Das neue Kleid der Kirche
Das äussere Erscheinungsbild der Kirche ist gleich geblieben, es wurden die Fassaden inklusive der Aussenbeleuchtung erneuert, das Turmkreuz mit der grossen Kugel wurde frisch vergoldet. Die Gemeinde Wittenbach ist, geschichtlich bedingt, nicht gross mit Wahrzeichen gesegnet. Insofern kommt der Ulrichskirche als identitätsstiftendes Gebäude vor Ort eine herausragende Bedeutung zu.
Die Umgebung der Kirche wurde zur grünen Oase. Mit dem kleiner werdenden Platzbedarf auf dem Friedhof werden Grünflächen frei. Die Kirche mitsamt Umschwung als Ort auf dem Ulrichsberg mit hoher Aufenthaltsqualität sollte auch für die Zukunft weiterhin eine inspirierende Richtschnur sein.
Im Vorraum der Kirche kann man sich sozusagen an das sakrale Gepräge des Raumes herantasten. Hier ist die Ausstattung schlicht. Es gibt die Möglichkeit, eine Fürbittkerze anzuzünden, der heilige Antonius mit Spendenkasse ist aufgestellt, eine Bibel liegt auf, es kann Weihwasser bezogen und Kerzen können käuflich erworben werden. Flyer informieren über Angebote. Der Raum wirkt übersichtlich und strahlt eine gewisse Behaglichkeit aus. Einzelne Stühle laden zum Verbleiben ein.
Höhe und Grösse des Kirchenschiffs schaffen ein erhebendes Raumgefühl. Und hier prägt die barocke und somit traditionelle Ausschmückung ganz klar die Atmosphäre: Seiten- und Hochaltäre, Heiligenstatuen, Kanzel, Deckengemälde, Stuckverzierungen. Im Zentrum unübersehbar die umgestaltete Altarinsel mit dem neuen Altar aus Marmor, dem Ambo (Lesepult) und der Osterkerze.