Home Region Sport Magazin Schweiz/Ausland Agenda
Stadt St.Gallen
01.10.2022
21.06.2025 21:18 Uhr

«Die Frau mit dem Köfferli», Teil 8: Irland

Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli
Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli Bild: Archiv
Stadtführerin Maria Hufenus erinnert sich in ihren Memoiren «Die Frau mit dem Köfferli» an so manche Episode aus rund einem halben Jahrhundert Führungen durch die Gallusstadt. stgallen24 stellt jede Woche exklusiv ein neues Kapitel vor. Heute: Ohne Irland kein St.Gallen.

BELFAST, ENDE JULI BIS ANFANG AUGUST 2008

Zu den Fortbildungskursen, welche die Universität St.Gallen durchführt, gehört in der Regel jeweils eine Führung durch die Stadt und eine durch die Stiftsbibliothek. Eine Gruppe aus England, Politiker und Kulturbeauftragte, war für die Bibliothek angemeldet.

Was ich nicht wusste, war, dass es sich um Gäste aus Nordirland handelte, die sich als Iren und nicht als Engländer fühlten. Eine Vitrine zeigte die ältesten irische Manuskripte und das irische Evangeliar aus dem 8. Jahrhundert, also irische Schätze in St.Gallen. Einer fragte: „Can`t you give it back?“ Meine Antwort: „It was a gift. Muss man in Irland Geschenke zurückgeben?“ Es folgte der Vorschlag: „Leave it there, it`s much better if you leave it there!“

Die Teilnehmer an der Führung „outeten“ sich dann als Irländer und waren von St.Gallen begeistert. Für eine zweite Gruppe erhielt ich die Erlaubnis, im Lesesaal weitere irische Manuskripte zu zeigen. Die Begeisterung war gross.

Einige Tage später erhielt ich einen Anruf der Universität St.Gallen mit der Frage, ob ich bereit wäre, in Belfast einen Vortrag über die irischen Schätze in St.Gallen zu halten. Offeriert wurden der Flug, die Unterkunft und 1000 Pfund. Ich hatte fast ein Jahr Zeit, um eine wirklich tolle Präsentation zu gestalten. Ich besorgte dafür Bilder aus dem Evangeliar, die der Leiter des Kulturzentrums Jake Mac Siacais auf etwa zwei Meter vergrösserte, um Werbung für den Anlass zu machen. Meine Tochter Barbara Hufenus kannte den Norden Irlands, und wir beschlossen, den Anlass mit einer Reise zu verbinden.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Der Anlass war dann perfekt organisiert. Barbara und ich kamen ins Kulturzentrum, wo kein Mensch war. Ich machte ein langes Gesicht und fragte, ob der Anlass stattfinde? Aber dann kamen sie, immer mehr. Man schleppte Stühle an, und schliesslich war der Saal übervoll. Der Schweizerkonsul für Schottland und Nordirland, ein Professor aus Gallway, Reporter, eine Freundin aus der Schweiz und viele Honoratioren waren gekommen.

Jemand fragte, ob ich auch Originale mitgebracht hätte? Originale können sie in St.Gallen besichtigen; wir hüten die irischen Schätze, die sich gut geschützt in einem besonderen Raum befinden.

Vor meiner Reise bat ich Frau Regierungsrätin Kathrin Hilber um ein Geschenk, das ich dem Leiter des Kulturzentrums überreichen könnte. Ihr origineller Vorschlag war, eine Flasche „Säntiswhisky“ (die Iren hätten mir dann Schokolade schenken können).

Ich fand dann mithilfe von Boris Tschirky, der damals Tourismusdirektor war, ein würdiges Geschenk: ein Faksimile „Die irischen Miniaturen der Stiftsbibliothek St.Gallen“ mit Erklärungen von Johannes Duft und Peter Meyer. Als ich am Ende des Vortrags das Buch Jake Mac Siacais überreichte, war er zu Tränen gerührt, was bei einer Flasche Whiskey vermutlich nicht geschehen wäre!

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Nach dem Vortrag waren meine Tochter und ich an einen irischen Musikabend eingeladen. Die meisten Anwesenden waren begeisterte junge Leute, die das auch zeigten: Wir kommen nach St.Gallen!

Darauf erhob sich einer mit seiner Geige; ein anderer setzte ein mit irischen Musikinstrumenten, weitere mit einer Art Dudelsack, mit einer „Swissdrum“. Einige der jungen Musiker kannten keine Noten. Ich habe das bei einer „Alpstobete“ im Appenzellerland auch erlebt.

Einer der jungen Leute wollte wissen, was wir über das Problem Irland - England meinten. Einer rief aber dazwischen: Das können die zwei sich doch gar nicht vorstellen! Meine Antwort war: „Doch, wir hatten in der Schweiz ein ähnliches Problem. Der Kanton Bern mit den wohlhabenden, deutsch sprechenden Bernern und den katholischen, armen, französisch sprechenden Jurassiern.“ „Wie haben sie das Problem gelöst?“, war die Frage. „Die ganze Schweiz hat abgestimmt. Und schliesslich entstand ein neuer Kanton!“ „You lucky country,“ war die Meinung des Publikums.

Am andern Tag machte die BBC noch ein Interview mit mir, und dann brachte uns Jake Mac Siacais am nächsten Tag mit dem Auto nach Dublin.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

DUBLIN, 24. BIS 27. FEBRUAR 2009

Einige Zeit später kam eine Anfrage vom Trinity College in Dublin. Ich sollte auch dort einen Vortrag halten, und zwar wiederum über die irischen Schätze in St.Gallen, aber auch über gregorianischen Choral, Notker der Stammler und Tuotilo. Auch hier herrschte grosses Interesse; der Saal war brechend voll, und wieder waren viele junge Leute da. Diese Zuhörer kündigten ebenfalls ihre Teilnahme am Gallusjubiläum an.

Diesmal begleitete mich mein Mann. Ich war immer froh um seine Begleitung und seine Kommentare. Wir erhielten ausgezeichnete Führungen in der Bibliothek und im Museum. Ruedi Widmer von der Stiftsbibliothek hatte mir zum Glück die englische Version „The abbey library of St.Gallen“ mitgegeben, mit der Bemerkung, die könne ich sicher gebrauchen.

Auf meinen Wunsch reservierte man für uns ein hervorragendes „Bed and Breakfast“. Mit Jake Mac Siacais besuchten wir ein heimeliges Pub. Es war jenes, das Brendan Behan jeweils besuchte, über den unser Freund Peter R. Gerdes seine Doktorarbeit „The major works of Brendan Behan“ vor Jahren schrieb.

Auch hier erhob sich plötzlich ein Besucher, stimmte eine Melodie an, andere erhoben sich ebenfalls, fielen ein und ein vergnüglicher Musikabend war da. Solches haben wir in Irland immer wieder erlebt. Jake, der bei uns einen Appenzellerabend erlebt hatte, sah Ähnlichkeiten zu Appenzell und hatte die Idee, man könnte beim Gallusjubiläum einen Musikanlass organisieren.

Zurück in St.Gallen, regte die Sekretärin Helena Busata ihren Chef, Stiftsbibliothekar Ernst Tremp, an, er solle mich doch fragen, wie die Präsentationen in Irland gelaufen seien. Er erkundigte sich dann ohne wirkliches Interesse mit dem Hinweis, er selber hätte eben in Österreich einen bedeutenden Festvortrag halten müssen. Wozu ich ihm herzlich gratulierte.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

IRLAND ZUM DRITTEN MAL, 14. BIS 21. OKTOBER 2011

Irland und St.Gallen (von Ernst Ziegler, alt Stadtarchivar von St.Gallen und Maria Hufenus’ Ehemann)

„But Gall would join the missionary party led by Columbanus and sent out by the Bangor monastery into the European continent.“ Dieser Satz steht im Programm des „Loch Lao Christian Heritage Festival“, das vom 15. bis 20. Oktober 2011 in Belfast und Bangor stattfand.

Loch Lao ist der älteste Name von Belfast und bedeutet „Lake of the Calf”, See des Kalbs. „Celleh, Celleah, Callach, Gall“ – Gallus ist für die Iren, mit denen wir in Belfast und Bangor diskutieren konnten, ohne Zweifel ein irischer Wandermönch. Wir erinnern uns an ein Diktum des ehemaligen Stiftsbibliothekars Johannes Duft über unseren Gallus: „Was auch immer er gewesen sein mag, er galt als Ire.“

In Belfast wurden Maria Hufenus und ich von Jake Mac Siacais, dem Direktor des Kulturzentrums in Belfast, und von Peter Finn, Rektor des St Mary's University Colleges In Belfast, mit irischer Gastfreundschaft empfangen und während einer Woche liebevoll betreut.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Die drei wichtigsten Anlässe waren die Vorträge in Belfast und Bangor: Am St Mary's University College hielt Maria Hufenus zwei Vorträge über „Books were Treasures“ und „the art and craft of the Irish and Carolingian manuscripts of St Gallen“ und in Bangor im North Down Museum über „The European Importance and Influence of the Abbey of St Gall“.

Am Samstag, dem 15. Oktober, wurde ein Training mit Kindern und Jugendlichen in der „St Galls Gaelic & Athletic Association“ besucht, und an der anschliessenden Eröffnung des Festivals in der Belfast Language High School hielt Maria Hufenus ein kurzes Referat über Kloster und Stadt St.Gallen, und Pàdraigìn Nì Ullachaìn, „Singer in Residence“, sang gälische Texte aus einer Sankt Galler Handschrift.

Der lange Abend wurde „eingeläutet“ mit dem Besuch von „Kellys Cellars“, wo eine irische Musikgruppe – wie in Irland üblich – spontan aufspielte. Weitere irische Musik und eine irische Tanzgruppe erlebten wir am Montagabend im „St Gall's Clubhouse“, wo ein „social evening“ der „Loch Lao traditional Musical Society“ unter der Leitung von Joe Mulhern stattfand und wo auch wir zu irischen Volkstänzen engagiert wurden, sowie am Donnerstagabend zum Beschluss des Festivals.

An diesem „Evening of music and talks“ traten auch „irische Barden“ auf, die ihre melancholischen Lieder und Balladen vortrugen. – Hätte ich irgend eine Kompetenz im Zusammenhang mit dem Gallusjubiläum 2012 gehabt, würde ich diese Gruppen ohne Weiteres engagiert haben, in St.Gallens Gassen und Wirtshäusern zu musizieren und zu tanzen.

Am Gallustag, der in Irland gross gefeiert wird, nahmen wir in Bangor in der „St Gall’s Church“ am „St Gall's Day Service“ Teil. Hier wurde eifrig gesungen und viel gebetet: „As we remember Gall the teacher and evangelist, this missionary who took your word out into Europe, may we hold on to our calling to reach out to others in faith and love.“ – Sehr eindrücklich für uns waren grüne Zettel, die dem Gottesdienstprogramm beilagen mit der Bitte, diese mit nach Hause zu nehmen und ins tägliche Gebet einzubeziehen; auf meinem „prayer leaf“ stand: „Pray for that Matthew finds full-time employment.“

Nach dem Gottesdienst leitete der Rector der Galluskirche, Reverend Michael Parker, die „Dedication of St Gall's Bear Sculpture“. Die über mannshohe Bärenstatue hatte der Künstler Owen Crawford geschaffen. Der Bär des Heiligen Gallus steht nun als mächtige Erinnerung an den Heiligen zwischen Strasse und Kirche seines Namens.

Der Gallustag in Bangor endete für uns mit einem „St Gall's Festival Lunch“ in einem der ältesten Wirtshäuser der Stadt. (Im „County Down Spectator and Ulster Standard“ vom 20. Oktober 2011 findet sich eine halbe Seite unter dem Titel „Bear sculpture celebrates St Gall“.)

In Bangor wurden wir von „Kulturmanager“ James O’Fee intensiv betreut und mit viel Wissenswertem über Irland und den heiligen Gallus dokumentiert.

An „Celebration Civic Lunch“, dem Empfang durch Lord Mayor Niall O’Donghaile, am 18. Oktober in der City Hall in BeIfast, zu welchem der Lord Mayor extra aus seinen Ferien zurückgekehrt war, hielt Maria Hufenus das Hauptreferat über Kloster und Stadt St.Gallen, das mit lang anhaltendem Applaus aufgenommen wurde.

Wir hatten hier Gelegenheit, mit Politikern und hohen Geistlichen (Bishop Donal McKeown von der Catholic Diocese of Down and Connor) über Gallus und St.Gallen sowie das Gallusjubiläum 2012 zu diskutieren.

Ein weiterer Empfang fand am 19. Oktober in der Town Hall in Bangor statt, wo der Mayor of North Down (Distrikt Bangor), James McKerrow, uns empfing – der nota bene vor 45 Jahren in St.Gallen, Appenzell, im Plattebödeli, auf der Bollenwees und dem Säntis war.

An beiden Empfängen spürten wir ein reges Interesse der Iren am Gallusjubiläum 2012 in St.Gallen. Da wir jedoch völlig privat und diesbezüglich mit leeren Händen nach Irland gekommen waren, konnten wir auch hier weder Auskünfte geben noch gar irgendwelche Zugeständnisse (Einladungen) machen.

Zu den Gottesdiensten am Gallustag stand im Programm das Bibelwort: „Let us not given up meeting together.“ Diese Stelle im Brief an die Hebräer des Apostels Paulus (10,25) lautet auf Deutsch: „ Seien wir darauf bedacht, einander zur Liebe und zu guten Werken anzuspornen. Bleiben wir der eigenen Versammlung nicht fern, wie einige zu tun pflegen.“

Nach Jake Mac Siacais, dem Hauptorganisator des Festivals, besteht die Hälfte der Belfaster aus alteingesessenen Iren, d.b. irisch-nationalistischen Katholiken, die andere Hälfte aus schottischen und englischen Siedlern, unionistischen (englandfreundlichen) Protestanten; in Bangor sollen 70 Prozent Unionisten (Presbyterians) und 30 Prozent Catholics sein.

Das gemeinsame christliche Erbe (Christian Heritage), die Erinnerung an Columban und Gallus, sollte mithelfen, zwischen Katholiken und Protestanten beider Städte eine Brücke zu bauen, sich näher zu kommen und schliesslich Frieden zu stiften.

Dazu beitragen sollte ganz besonders der Vortrag von Maria Hufenus in Bangor und ein längeres Interview der Irish BBC – eine Brücke zu bauen zwischen Belfast und Bangor und den beiden verschiedenen Konfessionen. Das war für uns mit ein Grund für unser privates, nun bereits drittes Engagement in Irland.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

EINE VERPASSTE GELEGENHEIT (von Maria Hufenus)

Mitte September 2012 erhielt ich eine Anfrage von Declan McGrath, der für die BBC einen Film über die Wanderung von Kolumban und Gallus von Irland an den Bodensee und nach Italien plante.

Er schrieb mir: „ It would be great to talk to you about Gall in St.Gallen, the importance of the library in Europe, and the any Irish links with the library (...) It would be great if you were able to partake in the programme.“ Diese Anfrage kam via Kulturzentrum Belfast an mich, und ich sollte mit der Organisation betraut werden.

Nun kam ich mit diesem Filmprojekt bei Stiftsbibliothekar Ernst Tremp allerdings an die falsche Adresse; er schrieb mir betreffend „BBC Film über Gallus“ Ende September 2012: „Ende November haben wir in der Tat unsere Jahresschliessung, und Filmaufnahmen im Saal sind während dieser Zeit grundsätzlich nicht möglich. Ausserdem befindet sich das irische Evageliar von Ende Oktober bis Ende Februar 2013 an einer auswärtigen Ausstellung. – Du kannst dem Kulturzentrum Belfast ausrichten, dass es sich für eine andere Zeit für Aufnahmen in der Bibliothek bzw. für Interviews mit mir oder einem anderen Mitglied unseres wissenschaftlichen Teams bitte direkt an mich wenden solle.“

Professor Tremp, der nicht Englisch konnte, wollte dann mithilfe eines Übersetzers dieses Engagement übernehmen, oder ein wissenschaftlicher Mitarbeiter musste für Filmaufnahmen eingesetzt werden, weil man eine solche Aufgabe nicht einer gewöhnlichen Stadtführerin überlassen wollte.

Die Antwort aus dem fernen Irland kam postwendend: „A very small minded individual. It is a pity....“ Und das Filmprojekt war gestorben.

Den ersten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den zweiten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den dritten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den vierten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den fünften Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den sechsten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den siebten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.

Maria Hufenus im Web: stadtfuehrungen.sg

Maria Hufenus, St.Gallen
Demnächst