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Stadt St.Gallen
27.08.2022
21.06.2025 21:16 Uhr

«Die Frau mit dem Köfferli», Teil 3: Politiker aus Bund, Kanton und Stadt

Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli
Maria Hufenus (*1945) lebt im Riethüsli Bild: Archiv
Stadtführerin Maria Hufenus erinnert sich in ihren Memoiren «Die Frau mit dem Köfferli» an so manche Episode aus rund einem halben Jahrhundert Führungen durch die Gallusstadt. stgallen24 stellt jede Woche exklusiv ein neues Kapitel vor. Heute: Politiker aus Bund, Kanton und Stadt, erste Begegnungen.

Bundesräte kamen nur, wenn sie hohe Gäste der Eidgenossenschaft begleiten mussten. Ausnahmen waren Kurt Furgler und Arnold Koller. „Noldi“ Koller wollte den Gästen zeigen, dass die Schweiz nicht nur Schoggi, Käse und Uhren zu bieten hat und er ist immer wieder gekommen. Er war nicht, wie manchmal behauptet wurde, „brötig“, sondern hatte einen feinen Humor.

Bundesrat Kurt Furgler (3. v. l.) Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Bundesrat Moritz Leuenberger kam 2006 mit König Harald von Norwegen und dessen Frau Silvia. Dass Leuenberger in der Stiftsbibliothek mit den Pantoffeln „schlittschüelen“ musste, fand ausser der Presse niemand lustig.

Er hatte einen eigenartigen Humor. Als ich den Folchartpsalter zeigte (ein Kettbuch, das im 9. Jahrhundert am Chorgestühl angekettet war, damit hohe Besucher, z. B. Könige, es nicht als Geschenk mitnehmen konnten), sagte ich leise zu Leuenberger : „Heute haben wir nur noch Angst vor den Zürchern!“ Worauf er entsetzt ausrief: „Sagen Sie das ja nicht!“ Leuenberger merkte nicht, dass es ein „Witzli“ war ...

Maria Hufenus mit König Harald von Norwegen und dessen Frau Silvia Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Ernst Tremp, damals Stiftsbibliothekar, meinte, ich könne seine Führung übersetzen. Seine Sekretärin und ich sagten ihm aber, das wäre langweilig und langatmig für den königlichen Gast; er könnte ja eine kleine Begrüssung in norwegischer Sprache auswendig lernen; was dann auch gut ankam. Er musste jedoch die drei Sätze einen ganzen Tag lang auswendig lernen.

Kofi Annan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, hatte an der HSG den Friedenspreis bekommen und man fragte den Stiftsbibliothekar, ob er die berühmte Stiftsbibliothek besuchen könnte. Worauf er belehrt wurde, das gehe jetzt gerade nicht, die Putzfrauen wären in der Stiftsbibliothek am Werk.

Später, im Herbst 2010, telefonierte mir ein Schweizer Botschafter und wollte wissen, ob die Putzfrauen immer noch in der Stiftbibliothek tätig seien. Kofi Annan weile jetzt bei ihm privat zu Gast und möchte die Bibliothek wirklich sehen, wenn möglich nicht während der normalen Öffnungszeit, weil er sonst von Autogramjägern gestürmt würde.

Der stellvertretende Stiftsbibliothekar Karl Schmuki ermöglichte das schliesslich zur Freude Kofi Annans problemlos. Der damals amtierende Stiftsbibliothekar Tremp war nicht „amused“ und strich mich zur Strafe ohne Kündigung von der List der Führer und Führerinnen. Was bewirkte, dass ich mit einem „umgedrehten Magen“ für sechs Wochen im Spital landete.

Es kamen immer wieder hohe Besucher mit der Bitte: „Ich komme ganz privat, also kein Wort an Zeitungen und kein Schutzaufgebot.“ Ich erwähne hier nur einen, weil das lange her ist. Es war der Präsident von Vilnius in Litauen, der mit zwei Begleitern kam. Ich machte die Führung, der er mit grossem Interesse folgte.

Seine zwei Begleiter hörten überhaupt nicht zu, was mich ärgerte. Ich fragte, ob sie etwas besonders interessieren würde. Worauf mir der Präsident erklärte: „Das sind meine Bodyguards; die dürfen sich nur für mich und meine Umgebung Interessieren.“

Durch das St.Galler Symposium bekam ich 2008 den Auftrag, Bundespräsident Heinz Fischer und Bundespräsident Pascal Couchepin zu führen. Die Gäste kamen eine Stunde zu spät. Couchepin stieg aus dem Auto, ohne Entschuldigung und ohne Begrüssung stürzte er mit den Fragen auf mich los: „Sind Sie die Führerin, haben Sie studiert, wo haben Sie studiert, an welcher Universität?“

Wir besuchten die Stiftsbibliothek, wo uns Tremp mit Zetteln in den Händen begrüsste. Anschliessend standen die Kathedrale und das Mittagessen im „Schlössli“ auf dem Programm. Ich erkundigte mich höflich, wie viel Zeit nun, wegen der Verspätung, an jedem Ort vorgesehen wäre. Die Antwort Couchepins: „Zehn Minuten Bibliothek, zehn Minuten Kathedrale!“ Das war sinnlos, und ich schlug vor: „Mindestens zwanzig Minuten Bibliothek und durch die Kathedrale nur durchlaufen.“ (In Österreich ist Barock nicht unbekannt.) Die barsche Antwort des hohen Herrn: „Wie ich gesagt habe!“ Ich machte es dann, wie ICH gesagt hatte.

Im Restaurant „Schlössli“ steuerte Couchepin sofort auf den Apéro los. Zum Walliserwein aus Salgesch kritisierte er, der untere Walliserwein sei besser. Ich störte ihn dann mit der Bemerkung: „Ich wollte mich noch verabschieden.“ Auf seine Frage, ob ich nicht mit ihnen essen wolle, lehnte ich dankend ab. Ich wollte nicht noch mehr Unhöflichkeit erleben.

Maria Hufenus mit Bundesrat Pascal Couchepin (ganz rechts) Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Das St.Gallen Symposium schickte auch Gäste aus dem Nahen Osten, z. B. 2007 aus dem Libanon, einst die Schweiz des Orients genannt. Der sehr gebildete Professor Sadik J. Al-Azm aus Syrien, der überall auf der Welt gelehrt und auch Preise, wie den Erasmuspreis, erhalten hat, wurde durch die libanesischen Autoritäten gefangen genommen, kam aber nach zehn Tagen wieder frei. Er war mit seiner unverschleierten Frau gekommen und hatte eine Tochter, die mit einem Berner verheiratet war.

Die sehr gebildete Ministerin der Vereinigten Arabischen Emiraten, Sheikha Lubna bint Khalid bin Sultan al-Qasimi, hielt den Vortrag an der HSG perfekt in schwarz gekleidet. An der Führung nahm sie europäisch gekleidet teil; sie hatte in Amerika studiert. Wir haben die Führung genüsslich überzogen.

Mit Mohammad Chatami Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Ich durfte auch Mohammad Chatami, Staatspräsident des Iran, (1997-2005) führen. Ich wusste, dass er Schiit war, die einer Frau die Hand nicht geben. Deshalb telefonierte ich nach Bern und erkundigte mich über die diplomatischen Gepflogenheiten. Man teilte mir mit, seine Exzellenz Mohammad Chatami sei ein sehr gebildeter Herr; ich solle einfach warten und sehen, was er mache.

Dann stand er da und streckte mir die Hand entgegen, und somit war alles klar. Als ich wegen der Ausstellung auf die Reformation und ihre Auswirkungen zu sprechen kam, meinte er: „Aber warum denn einen Krieg?“ Meine Antwort: „Reformen sind schwierig; für die eine Hälfte gehen sie nicht weit genug, für die andere Hälfte zu weit.“ Seine Antwort: „Don`t tell me!“

Er schrieb dann ins Gästebuch (übersetzt von seinem Sekretär), eine sehr charmante und gebildete Frau habe ihn geführt. Er hatte eine unglaublich schöne Schrift. Auf mein Kompliment meinte er: „Schönschreiben gehört im Iran zur Allgemeinbildung.“ Darum gefielen ihm die Bücher in der Stiftsbibliothek vermutlich so gut.

Bild: Privatarchiv Maria Hufenus

Das Bild zeigt Werner Boos wie immer vorne, ich im Hintergrund. Als Boos verabschiedet wurde, hiess er „Mr Tourist“ und alle Gäste wurden aufgezählt, die er geführt haben soll. Geführt habe allerdings jeweils ich; er hat immer bloss mit ihnen getafelt.»

Den ersten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.
Den zweiten Teil von «Die Frau mit dem Köfferli» finden Sie hier.

Maria Hufenus im Web: stadtfuehrungen.sg

stgallen24/Maria Hufenus
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