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Stadt St.Gallen
12.06.2020
12.06.2020 13:31 Uhr

«St.Gallen muss ein Zeichen gegen Rassismus setzen»

Bild: zVg
Am Samstag findet in St.Gallen die erste «Black Lives Matter»-Demo statt. Dabei soll kein Trend, sondern ein Statement gegen Rassismus gesetzt werden.

Der Tod von Afroamerikaner George Floyd erschütterte die Welt und löste Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus unter der Bewegung «Black Lives Matter» (BLM) aus. Auch in St.Gallen bewegt der Fall, und so kommt es am Samstag zur ersten Demonstration. Besonders: Die Demo findet mit dem Frauenstreik statt.

Organisatorin der BLM-Demo ist die 26-jährige Samantha Wanjiru, die 2019 von Deutschland nach St.Gallen gezogen ist. Die Psychologie-Studentin mit kenianischen Wurzeln musste selbst schon Rassismus erleben. stgallen24 hat mit Wanjiru gesprochen.

Samantha Wanjiru, was hat Sie dazu bewegt, eine Demo in St.Gallen zu organisieren?
Mich hat es ehrlich gesagt etwas verwundert, dass es in St.Gallen noch keine Demonstration gab, und das Schweigen des östlichen Teils der Schweiz zu einer solchen Thematik hat mich gestört. Also habe ich die Planung selbst in die Hand genommen und am Sonntag von meinem Bett aus die Instagram-Seite blacklivesmatter.stgallen erstellt.

Eine Demonstration ist aber kein Trend, sondern mich hat vor allem das Gefühl bedrückt, meine Stimme als ostschweizerische Mitbürgerin nicht deutlich machen zu können.

Wie beobachten Sie die Entwicklungen seit George Floyds Tod auf der Welt?
Als schwarze Frau kriegte man Rassismus natürlich schon vor der BLM-Bewegung mit. Zunächst hatte ich Zweifel, ob die ganzen Social-Media-Beiträge überhaupt etwas bringen. Denn in der Vergangenheit wurde dies nur als amerikanisches Problem angesehen; die Bewegung hat sich auf Social Media auch nur auf Amerika konzentriert.

Aber dann habe ich gesehen, was doch möglich ist - und das hat mich sehr beeindruckt. Plötzlich hat man auch in ganz Europa über Rassismus gesprochen und diskutiert. Endlich!

Bild: zVg
«Rassismus wird vor allem durch Passivität gefördert. Das kann nicht länger akzeptiert werden.»
Samantha Wanjiru, Organisatorin BLM-Demo

In der Schweiz spricht man immer wieder von Alltagsrassismus. Was sind Ihre Erfahrungen?
Die Schweizer sind sehr für sich! Das macht es für Ausländer nicht leicht, mit ihnen in Kontakt zu treten. So bleiben Albaner unter Albanern und Eritreer unter Eritreern. Auch hier gibt es Diskriminierung und Ausgrenzung.

Den grössten Teil meines Lebens habe ich in Deutschland gelebt. Dort habe ich oft unterschwelligen Rassismus erfahren: Es wurden Neger-Sprüche in Arbeitskreisen gerissen, und mir wurde von Fremden ungefragt ins Haar gefasst. Es herrschen noch sehr viele Vorurteile und Stereotypen - wie etwa, dass alle Menschen aus Afrika arm seien oder die Hypersexualisierung des schwarzen Mannes. Ich musste viel Aufklärungsarbeit leisten.

Was ist das Ziel der Demo am Samstag?
Zunächst, dass St.Gallen sich gegen Rassismus positioniert und ein Zeichen setzt. Dann dass die Bevölkerung auf die Thematik aufmerksam gemacht wird. Da es sich aber bei Rassismus nicht nur um ein gesellschaftliches Problem handelt, sondern auch um ein politisches, fordere ich eine Stellungnahme der öffentlichen Institutionen und Vereine in St.Gallen. Rassismus wird vor allem durch die Passivität gefördert, und das kann nicht länger akzeptiert werden. 

Die Demo findet gemeinsam mit dem Frauenstreik statt. Wieso?
Der Frauenverein ist auf meinen Instagram-Account aufmerksam geworden und hat vorgeschlagen, den Streik und die BLM-Bewegung zu verbinden. Das fand ich toll, denn in beiden Fällen geht es um Rassismus und um ein sozioökonomisches Problem. Als schwarze Frau bin ich von beidem betroffen.

«Die Selbstverständlichkeit, jemanden nach seiner Herkunft zu fragen, muss verloren gehen.»
Samantha Wanjiru, Organisatorin BLM-Demo

Was muss sich in der Gesellschaft noch ändern?
Ich glaube, dass die Selbstverständlichkeit, jemanden ohne Scham und Vorwarnung nach seiner Herkunft zu fragen, verloren gehen muss. Natürlich interessiert es viele einfach nur, woher man kommt und warum man anders aussieht. Aber oft gibt es Menschen mit Migrationshintergrund das Gefühl, dass man nicht dazugehöre. Ich wünsche mir einfach einen sensibleren Umgang und mehr Empathie.

Der Begriff «All Lives Matter» wird in den sozialen Medien verpönt. Wieso ist das so?
Genau - und an die Demo sollen bitte auch keine Plakate mit dieser Aufschrift mitgebracht werden! Natürlich sind alle Menschenleben wichtig, aber wenn es um Rassismus geht, dann ist diese Aussage einfach deplatziert. Denn Schwarze haben eben nicht die gleichen Privilegien wie Weisse.

Ein Beispiel: Wenn Sie ein krankes Kind haben und es macht sie darauf aufmerksam, dass es leidet, dann kümmern Sie sich doch zunächst um das kranke Kind und nicht um die gesunden, oder? Auch wenn Sie alle Kinder gleich lieb haben. 

Wird es schwierig, die Corona-Regeln an der Demo einzuhalten?
Nein. Ich denke, dass wir alle genug sensibilisiert auf dieses Thema sind, Abstand halten sowie eine Maske tragen werden. Wir rechnen mit 250 bis 300 Personen und ich freue mich über alle, die kommen.

Mehr Infos zur Demo und zu Samantha Wanjiru gibt es auf YouTube und Instagram.

Miryam Koc
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