Der römische Staatsmann und Philosoph Anicius Manlius Torquatus Severinus (um 480-524), den wir unter dem Namen Boethius kennen, wurde wegen angeblichem Hochverrat 524 n. Chr. hingerichtet. Während seiner langen Kerkerhaft schrieb er sein berühmtes Werk «De consolatione philosophiae», eben den «Trost der Philosophie».
Trost der Philosophie
Ein gläubiger Mensch wird reichlich Trost finden, wenn er die Bibel liest. Neben der Religion gibt es die Philosophie. Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) hat geschrieben, das Beste seiner eigenen Entwicklung habe er «nächst dem Eindrucke der anschaulichen Welt, sowohl dem der Werke Kants, als dem der heiligen Schriften der Hindu und dem Platon zu verdanken». Schopenhauer hat schon als Student fleissig Immanuel Kant (1724-1804) gelesen und ihn später den «Alleszermalmer» genannt. In einem seiner «Studienhefte» notierte er im Zusammenhang mit Kants Tugendlehre: «Sey religios und bete; oder sey Philisoph und denke: aber sey Eins von beyden; nach deiner Natur und Kultur.» Ich selber versuche, in beiden Trost zu finden in dieser kuriosen Zeit.
Goethe schrieb 1820 an Ottilie von Pogwisch, die Frau seines Sohnes August:
Ehe wir nun weiter schreiten,
Halte still und sieh dich um,
Denn geschwätzig sind die Zeiten,
Und sie sind auch wieder stumm.
Schopenhauer besuchte 1811 den damals 78 Jahre alten Dichter Christoph Martin Wieland (1733-1813), der dem Studenten abriet, «lediglich Philosophie zu studieren, was doch kein solides Fach wäre». (Obwohl ich unter anderem bei Karl Jaspers seinerzeit Philosophie studiert habe, muss ich heute Wieland beipflichten…) Worauf ihm Schopenhauer antwortete: «Das Leben ist eine mißliche Sache, ich habe mir vorgesetzt, es damit hinzubringen, über dasselbe nachzudenken.» In dieser kuriosen «Coronazeit» halten wohl viele Menschen das Leben für eine «missliche Sache».
Der unvergessene Hermann Bauer (1922-1993), ein Journalist «alter Schule», wie er einst selber sagte, und Redaktor der «Ostschweiz», hat 1974 ein Büchlein geschrieben mit dem Titel «So ich die Stadt betracht’». Wenn ich heute unsere Stadt betrachte, kommt mir eine Stelle in Schopenhauers «Preisschrift über die Grundlage der Moral» in den Sinn: «Es kann hiemit so weit kommen, daß vielleicht Manchem, zumal in Augenblicken hypochondrischer Verstimmung, die Welt, von der ästhetischen Seite betrachtet, als ein Karikaturenkabinet, von der intellektuellen, als ein Narrenhaus, und von der moralischen, als eine Gaunerherberge erscheint.»
Trost spendet dann aber auch wieder Schopenhauer, in dessen «Paränesen und Maximen» steht: «Die kleinen Unfälle, die uns stündlich vexiren, kann man betrachten als bestimmt, uns in Uebung zu erhalten, damit die Kraft, die großen zu ertragen, im Glück nicht ganz erschlaffe. – Gegen die täglichen Hudeleien, kleinlichen Reibungen im menschlichen Verkehr, unbedeutende Anstöße, Ungebührlichkeiten Andrer, Klatschereien und dgl. m. muß man ein gehörnter Siegfrid seyn, d. h. sie gar nicht empfinden, viel weniger sich zu Herzen nehmen und darüber brüten; sondern von dem Allen nichts an sich kommen lassen, es von sich stoßen, wie Steinchen, die im Wege liegen, und keineswegs es aufnehmen in das Innere seiner Ueberlegung und Rumination [reifliche Überlegung].»
Und wie für unsere Zeit geschrieben lesen wir in Schopenhauers «Ermahnungen und Leitsätzen»: «So lange der Ausgang einer gefährlichen Sache nur noch zweifelhaft ist, so lange nur noch die Möglichkeit, daß er ein glücklicher werde, vorhanden ist, darf an kein Zagen gedacht werden, sondern bloß an Widerstand; wie man am Wetter nicht verzweifeln darf, so lange noch ein blauer Fleck am Himmel ist.»