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Kanton
29.10.2025

St.Gallen stellt sich der Geschichte der Zwangsmassnahmen

Symbolbild
Symbolbild Bild: sg.ch
Unter der Leitung der Historikerinnen Loretta Seglias und Oliver Schneider untersucht ein Forschungsteam im Auftrag des Departements des Innern die Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen im Kanton St.Gallen. Ziel des Projekts «Sich der Vergangenheit stellen» ist es, das Unrecht umfassend aufzuarbeiten, Forschungslücken zu schliessen und Betroffenen Gehör zu verschaffen.

Fürsorgerisch begründete Zwangsmassnahmen waren ein Bestandteil der Schweizer Sozialpolitik im 19. und 20. Jahrhundert. Der Kanton St.Gallen setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, diese dunklen Kapitel seiner Geschichte aufzuarbeiten.

Trotz bereits vorhandener Studien zu administrativen Versorgungen, Auslandadoptionen und Medikamentenversuchen bestehen weiterhin offene Fragen. Eine Gesamtschau zur kantonalen Fürsorgegeschichte fehlt bislang, insbesondere Themen wie Zwangsarbeit sind nach wie vor unzureichend erforscht.

Hier setzt das dreijährige Forschungsprojekt des Departements des Innern an. Es soll die bisherigen Erkenntnisse zur Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen im Kanton zusammenführen und bestehende Lücken schliessen.

Der Forschungsprozess ist partizipativ gestaltet und bezieht Betroffene, Opferberatungsstellen sowie Fachpersonen aus der Wissenschaft aktiv mit ein.

Betroffene bringen ihre Perspektive ein

Ein zentrales Anliegen des Projekts ist, den Betroffenen eine Stimme zu geben. Zu diesem Zweck fand kürzlich ein Workshop statt, an dem Betroffene, Forschende und Vertreter des Kantons – darunter Regierungsrätin Laura Bucher – teilgenommen haben.

Die Betroffenen konnten ihre Erwartungen an das Projekt äussern und wichtige Hinweise für die Forschungsarbeit geben. Die Ergebnisse des Projekts sollen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und so zu einer breiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung beitragen.

Weiterführende Informationen sowie eine Kurzversion des Forschungskonzepts sind online abrufbar: www.sg.ch

Hintergrund: Zwangsmassnahmen und deren Aufarbeitung in der Schweiz

Im 19. und 20. Jahrhundert wurden in der Schweiz hunderttausende Menschen Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Betroffen waren vor allem Personen, deren Lebensumstände nicht den gesellschaftlichen Normen entsprachen.

Die Eingriffe durch staatliche, kirchliche oder private Akteure waren oft traumatisch und hinterliessen tiefe Spuren.

Seit 2017 arbeiten Bund und Kantone auf Basis des Bundesgesetzes über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 (AFZFG) systematisch an der Aufklärung und Wiedergutmachung.

Im Kanton St.Gallen haben in den letzten Jahren über 700 Betroffene beim Staatsarchiv und der Opferhilfe um Akteneinsicht und Unterstützung ersucht.

Der Bund leistet den Betroffenen auf Antrag Solidaritätsbeiträge von 25’000 Franken. Zudem werden vom Kanton und der Stiftung Opferhilfe regelmässig Vernetzungstreffen organisiert, um Austausch und Unterstützung zu fördern.

Weitere konkrete Massnahmen werden derzeit geprüft. Bereits 2019 fand ein grosser Gedenkanlass in St.Gallen statt, bei dem auf der Kreuzbleiche ein Erinnerungszeichen in Form eines Brunnens eingeweiht wurde.

pd/ako
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