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Stadt St.Gallen
03.10.2025
23.09.2025 11:45 Uhr

Von Stadt zu Stadt mit Empfehlungsschreiben: Schulmeister auf Jobsuche

Bürgermeister und Rat von Lindau schreiben im Oktober 1458 auf Bitte ihres Bürgers Hans Arger, der zugleich den Brief überbringen wird. Arger habe gehört, St.Gallen suche einen neuen Schulmeister. Die Lindauer empfehlen ihn für die Anstellung in St.Gallen
Bürgermeister und Rat von Lindau schreiben im Oktober 1458 auf Bitte ihres Bürgers Hans Arger, der zugleich den Brief überbringen wird. Arger habe gehört, St.Gallen suche einen neuen Schulmeister. Die Lindauer empfehlen ihn für die Anstellung in St.Gallen Bild: StadtASG, Missive 342
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute zeigen wir, wie ein Lehrer aus Lindau in St.Gallen Arbeit finden wollte.

Ab dem 13. Jahrhundert begannen sich in den Städten und zunehmend auch in ländlichen Gemeinden Formen kollektiver Unterrichtung zu etablieren. Schulmeister übernahmen die Aufgabe, Kinder in Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion und Singen zu unterweisen. Eine Mädchenschule ist in St.Gallen ab dem 16. Jahrhundert belegt.

Mit der Reformation intensivierten sich diese neuen Strukturen, und besonders in reformierten Gebieten führte die Trennung von Schul- und Kirchenordnung zur Entstehung von öffentlichen Schulen sowie zur Berufung weltlicher Lehrkräfte, die nicht mehr der kirchlichen Aufsicht unterstanden.

Aber erst 1536 wurde in Genf unter dem Einfluss von Johannes Calvin die erste schweizerische Schulpflicht eingeführt. Davor gab es noch keine allgemeine Schulpflicht, aber die zunehmende Bedeutung der Bildung führte dazu, dass immer mehr Kinder unterrichtet wurden, oft von Schulmeistern, die auf privater Basis in den städtischen Schulen oder in ihrem eigenen Haus arbeiteten.

Bild: Holzschnitt von Albrecht Dürer, 1510 (Ausschnitt)

Anfänge des organisierten Schulunterrichts

Der Beruf des Schulmeisters war stark von regionalen Strukturen und persönlichen Beziehungen geprägt. In der Regel waren Schulmeister männlich, nur in Ausnahmefällen übernahmen Frauen diesen Beruf.

Seit dem 13. Jahrhundert entstanden in mehreren Schweizer Städten erste Gemeindeschulen mit Schulmeistern – ob diese Schulen auch Mädchen offenstanden, bleibt jedoch unklar. Ab dem 15. Jahrhundert lassen sich jedoch fast in allen grösseren Städten Privatschulen nachweisen, die von einer weiblichen Lehrperson geführt wurden. Diese Schulen richteten sich insbesondere an Mädchen aus der Oberschicht, die zuvor meist in Klöstern unterrichtet wurden.

Die Entwicklung des Schulwesens war eng durch die kulturelle und sprachliche Vernetzung der Bodenseeregion geprägt. Besonders Schulmeister konnten sich innerhalb des zusammenhängenden Kulturraums vergleichsweise flexibel bewegen.

Trotzdem war diese Mobilität nicht ohne Hürden. Praktische und rechtliche Einschränkungen spielten eine Rolle, vor allem war jedoch der persönliche Ruf entscheidend. Wer ausserhalb seiner Heimatstadt unterrichten wollte, musste auf seine Integrität achten und über gute Empfehlungen verfügen.

Wie wichtig ein guter Leumund war, zeigt sich deutlich in den überlieferten Bewerbungsschreiben der Schulmeister. Diese Missiven betonten nicht nur die fachliche Eignung der Bewerber, sondern auch ihren Charakter und ihre Vertrauenswürdigkeit – Eigenschaften, die im damaligen Bildungssystem von grossem Gewicht waren.

Wer eine Anstellung suchte, musste als «gelerter, fromer man und von erbern Lüten geboren» beschrieben werden; also ehrbar, gebildet, tugendhaft und aus gutem Haus stammend.

Der Schulmeister von Esslingen, in der Grossen Heidelberger Liederhandschrift «Codex Manesse», erstellt zw. 1305 - 1340 Bild: Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, 292v

Bewerbung mit Brief und Bürgschaft

Die Schulmeister Johannes Redrer und Hans Arger aus Lindau bewarben sich in den Jahren 1446 und 1458 um eine Stelle in St.Gallen. Ihre Empfehlungsschreiben mit besonderer Betonung ihres guten Charakters und ihrer hervorragenden Bildung wurden von Bürgermeister und Rat zu Lindau verfasst. Dies zeigt, wie sehr der Leumund eines Kandidaten von der städtischen Obrigkeit mitgetragen werden musste.

Ein persönliches Gespräch war wohl ebenfalls Teil des Bewerbungsprozesses, da in den Missiven darauf verwiesen wurde, dass die Kandidaten selbst das Schreiben überbringen würden. Dies geht aus den Begriffen zeiger oder wiser dis briefs hervor.

Etwas anders verlief der Bewerbungsprozess von Gallus Bils im Jahr 1506. Er bat in der Missive Nr. 536 ausdrücklich darum, dass seine Bewerbung in St.Gallen nur im Fall einer erfolgreichen Anstellung publik werde.

Der Grund: Sollte er abgelehnt werden, befürchtete er Nachteile an seinem bisherigen Arbeitsort Wangen im Allgäu, etwa Misstrauen oder gar Entlassung. So schrieb Herr Bils persönlich und nicht mit der obrigkeitlichen Empfehlung der Stadt Wangen.

Ein Schulmeister lädt ein Kind in die Schule ein. Das Kind hält eine Holztafel mit dem Alphabet für den Grammatikunterricht in seiner rechten Hand. Der Text unter dem Bild lautet: «Wie man das kindlin leren sol» Bild: Kolorierte Federzeichnung um 1480, Abschrift des Werks Regimen sanitatis von Heinrich Laufenberg. ZB, Ms. C 102b, Fol. 54v

Die Schulmeister lebten in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen, da ihre Einkünfte direkt von der Zahl der Schüler und Schülerinnen sowie der Zahlungsfähigkeit der Familien abhingen. Nicht alle Lehrpersonen waren an einer städtischen Schule angestellt, mancher Lehrer unterrichtete deshalb in seinem eigenen Haus oder wanderte von Dorf zu Dorf auf der Suche nach neuen Schülern und Schülerinnen.

So bewarb sich beispielsweise Johannes Thiliger 1418 mit einem Schreiben in St.Gallen, mitsamt einer Auflistung seiner Referenzpersonen (von seiner Qualifikation schreibt er nichts), und offenbar erhielt er die gewünschte Anstellung.

Denn vier Jahre später, 1422 schrieb er erneut an den Rat von St.Gallen, diesmal aber, um noch ausstehendes Schulgeld seiner ehemaligen Schüler und Schülerinnen einzufordern. Er bat den Rat, die Eltern dazu anzuhalten, die Schulgelder zu bezahlen; er sei darauf angewiesen. Seine Amtszeit in St.Gallen hatte offenbar nicht lange gedauert; zum Zeitpunkt der zweiten Missive war er bereits als Schulmeister in Kempten tätig – ein Indiz für die hohe Mobilität dieses Berufsstandes.

Die Schulmeister jener Zeit waren daher nicht nur Lehrende, sondern auch Reisende in einem Netzwerk regionaler Verbindungen. Sie bewegten sich in einem Schulsystem ohne einheitliche Standards und unterrichteten in Abhängigkeit von den finanziellen Möglichkeiten und dem sozialen Status der Familien.

Der Beruf des Schulmeisters im Mittelalter war somit stark von Mobilität, wirtschaftlicher Unsicherheit und persönlichen Empfehlungen geprägt.

Die erwähnten Missiven zum Thema Schulmeister sind abrufbar unter: missiven.stadtarchiv.ch/begriffe/Schulmeister

Literatur

  • Bätscher, Theodor Wilhelm: Kirchen- und Schulgeschichte der Stadt St. Gallen. Von Vadians Tod bis zur Gegenwart, erster Band 1550 – 1630, St. Gallen 1964.
  • Hamann, Bruno: Geschichte des Schulwesens. Werden und Wandel der Schule im ideengeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Zusammenhang, Bad Heilbrunn 2003.
  • Head-König, Anne-Lise: «Mädchenerziehung», in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 09.11.2006, übersetzt aus dem Französischen. Online: hls-dhs-dss.ch/de/articles/048195/2006-11-09.
  • Kintzinger, Martin: Forschung zur Geschichte und Entwicklung des Lehrerberufs vom Mittelalter bis zum Ende des 17. Jahrhunderts, in: Bennewitz, Hedda, Rothland, Martin,
  • Terhart, Ewald (Hgg.): Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, Münster 2014, S. 15–34.
Alina Mächler
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