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Stadt St.Gallen
07.03.2025
05.03.2025 10:20 Uhr

Überlingen «beschmalzen»

Die Missive vom 18. Juli 1548 erreicht St.Gallen aus Überlingen, der Stadt mit einem der grössten (Korn)Märkte Oberdeutschlands
Die Missive vom 18. Juli 1548 erreicht St.Gallen aus Überlingen, der Stadt mit einem der grössten (Korn)Märkte Oberdeutschlands Bild: StadtASG, Missive 672
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute widmen wir uns den Handelsbeziehungen über den Bodensee – oder: Wie St.Gallen Überlingen mit Butter versorgte.

1548 litt Überlingen unter Buttermangel. Am 18. Juli sandten Bürgermeister und Rat von Überlingen darum ein Unterstützungsgesuch nach St.Gallen. Darin baten sie den St.Galler Rat, wöchentlich 20 Zentner Schmalz – also Butter – über den Bodensee zu liefern.

Dies könne mit demselben Schiff geschehen, mit dem St.Galler Kornkäufer jeweils von Steinach zum Überlinger Wochenmarkt fuhren.

Segelschiff mit Transportgütern vor Steinach, mit dem markanten Gredhaus. Im Gesamtwerk von Johann Andreas Pecht und Sohn: Ansichten vom Bodensee und seinen Umgebungen in 100 lithographierten Blättern, nebst Beschreibung und einer Karte. Konstanz 1833 Bild: Badische Landesbibliothek Karlsruhe. O53 A 428, RH, 1

Dies war nicht das erste Unterstützungsgesuch aus Überlingen. Die Überlinger beriefen sich in ihrem Brief auf die Tradition der guten gegenseitigen Handelsbeziehungen: Schon früher habe St.Gallen Überlingen in Zeiten des Mangels mit direkten Butterlieferungen geholfen; umgekehrt würden die Überlinger selbstverständlich weiterhin dafür sorgen, dass auch in Zukunft genügend Korn nach St.Gallen geliefert werde.

Die Überlinger waren überzeugt, dass es den St.Gallern auch dieses Mal gelingen würde, genügend Butter auf ihren Märkten aufzutreiben, um sie ein weiteres Mal – wie es wörtlich heisst – zu «beschmalzen». Zudem könnten die «besonnder lieben unnd guoten fründe» in St.Gallen umgekehrt damit rechnen, dass die Überlinger sie «mit korn auch nit verlassen» würden.

Alpbetrieb im 16. Jahrhundert. Links oben und unten Melken im Freien, rechts oben Käseherstellung, unten Butterherstellung im Stossbutterfass, daneben Abtransport des Käses auf einem Tragreff. Zeichnung von Daniel Lindtmayer (1552 – 1603) Bild: Gottfried-Keller-Stiftung, Bundesamt für Kultur, Bern/338.4 (Depos. GKS)

Dieser Brief veranschaulicht die wirtschaftliche Komplementarität zwischen Teilen Süddeutschlands und der Ostschweiz. Die Eidgenossenschaft importierte seit dem Mittelalter und in zunehmendem Masse seit dem 16. Jahrhundert in grossen Mengen Getreide aus Schwaben.

Umgekehrt gelangten Tuche, Geld und Viehprodukte aus der Ostschweiz nach Süddeutschland. Zwischen diesen beiden Regionen bestanden zu jener Zeit enge wirtschaftliche Tausch- und Abhängigkeitsbeziehungen.

Aber warum wurde die Textilproduktions- und handelsstadt St.Gallen für Butter angefragt? Städte waren für die Ernährung der Bevölkerung stark vom Umland abhängig. St.Gallen sicherte sich zu diesem Zweck die Versorgung mit Fleisch, Käse und Butter aus dem Appenzellerland und Toggenburg.

Ein Eintrag in der ältesten Gesetzessammlung der Stadt St.Gallen aus dem 14. und 15. Jahrhundert zeigt, dass der Stadtrat von St.Gallen das Monopol auf den Handel mit Molkenprodukten durchsetzen wollte. Es heisst dort, es sei den Bürgern verboten, Butter, Käse, Ziger und Molken an einem anderen Ort als auf dem offiziellen Markt von St.Gallen oder Appenzell zu kaufen.

«Umb smalz und kaes» lautet der Titel der Bestimmung in der ältesten Gesetzessammlung der Stadt St.Gallen, mit welchem sich die Stadt die Versorgung mit Molkenprodukten aus dem Umland sicherte Bild: StadtASG, Bd. 538, f49.

Direkteinkauf bei Produzenten, die vors Haus kamen, war nur für den Eigenbedarf erlaubt. Die Stadt St.Gallen hatte sich mit dieser Reglementierung des Handels mit Viehwirtschaftsprodukten schon früh nicht nur die eigene Versorgung gesichert, sondern darüber hinaus Kapazitäten geschaffen für den Tauschhandel Butter aus der Ostschweiz gegen Getreide aus Süddeutschland, der bis weit in die Frühe Neuzeit reichte.

Die erwähnte Missive Nr. 672 ist abrufbar unter: missiven.stadtarchiv.ch

Literatur

  • Stadelmann, Nicole: Austausch übers Wasser. Wirtschaftliche Beziehungen und Arbeitsalltag zwischen dem Nord- und Südufer des Bodensees, in: Huber et al. (Hgg.): Wasser in der Mittelalterlichen Kultur. Gebrauch – Wahrnehmung – Symbolik. (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung, Beihefte 4), Berlin / Boston 2017, S. 206–220.
  • Sonderegger, Stefan: Alpwirtschaft im Toggenburg, Werdenberg und Sarganserland, in: Sankt-Galler Geschichte 2003, Bd. 3: Frühe Neuzeit: Territorien, Wirtschaft, St.Gallen 2003, S. 245–260.
  • Sonderegger, Stefan: Landwirtschaftliche Spezialisierungen in der Region Ostschweiz und ihre Bedeutung für den interregionalen Austausch zwischen Oberschwaben und der Ostschweiz, in: Hirbodian et al. (Hgg.): Herrschaft, Markt und Umwelt. Wirtschaft in Oberschwaben 1300–1600 (Oberschwaben. Forschungen zu Landschaft, Geschichte und Kultur 3), Stuttgart 2019, S. 159–182.
Stefan Sonderegger
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