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Gast-Kommentar
Stadt St.Gallen
24.02.2025
24.02.2025 10:33 Uhr

Aus den Parteien: «Freiheit zwischen Gaspedal und Gemeinwohl»

Autor Michael Breu ist Präsident der Grünen Stadt und Region St.Gallen
Autor Michael Breu ist Präsident der Grünen Stadt und Region St.Gallen Bild: zVg
Zwei grosse Philosophen haben sich intensiv mit dem Freiheitsbegriff auseinandergesetzt: Immanuel Kant (1724–1804) und John Stuart Mill (1806–1873). Der Königsberger Philosoph Kant wird von der FDP gerne zitiert, gilt er doch als Begründer des klassischen Liberalismus. Auf sein Wirken geht das Bonmot zurück: «Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt» – auch wenn sich dieses Zitat in seinen Werken so nicht findet. Ganz anders definiert der britische Philosoph Mill die Freiheit – als den «ersten und stärksten Wunsch der menschlichen Natur».

«Die FDP St.Gallen scheint ihr freiheitliches Credo gegen eine neoliberale, utilitaristische Interpretation des Freiheitsbegriffs eingetauscht zu haben. So zumindest lässt sich die Umdeutung des Slogans «Freie Fahrt auf Hauptverkehrsachsen» in das Motto der ehemaligen Autopartei «Freie Fahrt für freie Bürger» verstehen.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Debatte um die Demutstrasse, auf der der Stadtrat Tempo 30 einführen will.

Bereits seit 1997 gilt zwischen Hausnummer 50 und dem Zentrum von St.Georgen eine Tempobeschränkung auf 30 km/h. Um eine weitere Verkehrsberuhigung zu erreichen, sammelten Quartierbewohnerinnen und -bewohner vor vier Jahren 620 Unterschriften für die Petition «Demutstrasse beruhigen – Lebensqualität statt Durchgangsverkehr».

Auch das Stadtparlament befasste sich 2021 mit dem Anliegen und diskutierte die Interpellation «Zu viel Pendlerverkehr durchs Tal der Demut», die von 22 Mitgliedern des Stadtparlaments unterzeichnet wurde. Ende 2023 wurde zudem ein Bevölkerungsvorstoss eingereicht, welcher den motorisierten Durchgangsverkehr senken und die Lebensqualität und Sicherheit aller Anwohnenden, insbesondere jene von Schulkindern, erhöhen wollte.

Im Zuge all dieser Diskussionen wurde klar: Die direkt betroffene Bevölkerung wünscht sich eine Reduktion der Fahrgeschwindigkeit. Die Freiheit der Autofahrenden wird also zugunsten der Anwohnenden eingeschränkt – ganz im Sinne von Kant.

Für TCS-Geschäftsführer und FDP-Stadtparlamentarier Thomas Pfister hingegen ist Tempo 30 «ein Fluch für St.Gallen», da es die Freiheit der Autofahrenden beschneide. Das Bedürfnis der Anwohnenden nach sicheren Strassen und einer ruhigen Wohnumgebung scheint ihm gleichgültig – die Grenzen der Freiheit werden für ihn vom Gaspedal festgelegt.

Diese illiberale Haltung widerspricht nicht nur dem klassischen Liberalismus, sondern auch der Bundesverfassung.

Laut Präambel geben sich das Schweizer Volk und die Kantone die Verfassung unter anderem «in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung», «im Bestreben, Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken», «im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme zu leben» und «im Bewusstsein der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen».

Die Debatte über Tempo 30 auf der Demutstrasse zeigt exemplarisch, dass Freiheit stets im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen steht. Während der klassische Liberalismus Freiheit und Verantwortung untrennbar miteinander verknüpft, wird sie heute oft als schrankenlose Individualfreiheit missverstanden – insbesondere beim Autofahren.

Doch wahre Freiheit bedeutet nicht, ungehindert aufs Gaspedal zu treten, sondern in einer lebenswerten Umgebung zu wohnen. Kant hätte dem wohl zugestimmt.»

Aus den Parteien: Politische Meinungen aus erster Hand

stallen24 bietet einmal pro Monat jeder Partei, die im St.Galler Stadtparlament vertreten ist, eine «Carte blanche». In dieser Rubrik können die Parteien ihre Sichtweise zu einem frei gewählten Thema präsentieren. «Aus den Parteien» ermöglicht es den Lesern, politische Positionen und Ansichten direkt aus erster Hand zu erfahren – ein spannender Einblick in die Vielfalt der politischen Landschaft der Stadt St.Gallen.

Michael Breu
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