Veränderung ja, aber in Massen
Das Parteiprogramm ist auch dementsprechend lokal. «Für mich hat es oberste Priorität, dass die Politik sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert, anstatt sie zu lenken, in eine Form zu pressen oder ihr etwas überstülpen zu wollen. Beim Umweltschutz, bei der Nachhaltigkeit und dem Konsum muss man von der Schulmeisterei und vom Tunnelblick auf CO2 wegkommen. Beim Verkehr braucht es Konzepte, die für die Bevölkerung und das verkehrsabhängige Gewerbe hilfreich und stimmig sind. Bürokratische Hürden und Stolpersteine für Gewerbe, Berufe und Selbständige sollen abgebaut werden.» Ausserdem würden auch Sprachveränderungen jeglicher Art den Konsens der Bevölkerung brauchen. Gemeint ist damit unter anderem die sehr heiss und emotional diskutierte Debatte rund ums Gendern.
Dennoch ist es der Politikerin wichtig, die Stadt nicht zu sehr zu verändern. Wenn auch eher für den Moment und aus gegebenem Anlass. «Ich möchte die Veränderungen ausbremsen; das zeigt sich vor allem in der Verkehrspolitik, welche die Stadt allmählich in ein grosses, verkehrsberuhigtes Dorf verwandelt.» Ketterer nehme seitens der Bürgerschaft und des Gewerbes deutlich wahr, dass sie das nicht wollen. «Ich bin jedoch bereit, nach alternativen Lösungen für das Bedürfnis einer Begrünung zu suchen. Schliesslich kann man Bäume auch anderswo als in Parkplätze pflanzen.»
Blockdenken als Gift für die Demokratie
Das Parteiprogramm wird wohl also nicht wenige Unterstützer finden. Schliesslich spricht «Aufrecht» damit vielen Bürgern aus dem Herzen. Und doch ist die Partei für spezielle, teils stark von der «Norm» abweichende Meinungen abseits des Mainstreams bekannt. «Wer definiert, wovon wir stark abgewichen sein sollen? In einer freien und offenen Gesellschaft haben Meinungen weder als «Norm», noch als «speziell» oder als von etwas Vorgegebenem «abweichend» bezeichnet zu werden.» Unterschiedliche Meinungen seien immer begrüssenswert und ein Zeichen einer intakten Demokratie. «Unsere Positionen erfahren vielleicht nicht immer Mehrheiten, jedoch füllen wir mit unserem Programm eine Lücke, die bei einem Teil der Bevölkerung auf breite Zustimmung und grosses Interesse stösst.»
Doch Gegenwind gibt es. Und die Kandidatin bekommt ihn zu spüren. «Es ist dann verheerend, wenn Leute ein Anliegen von mir nur aufgrund meiner Parteizugehörigkeit nicht unterstützen wollen. Konkret gab es seitens linken Sympathisanten Interesse für das Referendum gegen das neue Taxireglement. Einige konnten das Sachanliegen gut von Abneigungen gegenüber Aufrecht trennen und unterstützten es.» Andere jedoch würde das Referendum nicht unterschrieben haben, weil nicht ihre bevorzugte Partei, sondern der Name der Aufrecht Politikerin auf dem Bogen stand. «Und das obwohl es ein partei-unabhängiges Referendum von mir war. Solches Blockdenken ist Gift für Demokratie und Gesellschaft. Leider ist es in der Politik dennoch sehr verbreitet.»
Unterstützung von Patrick Jetzer
Vorurteile würden daher immer auf mangelnder Kenntnis basieren. «Wir wurden lange und werden teilweise immer noch von den Medien in eine Extremismus-Schublade gesteckt. Durch mein aktives Handeln kann ich zeigen, wofür ich stehe. Mit der Zeit werden die Vorurteile dann wohl schwinden.» Indem sie aktiv Handlung zeige und wofür sie sich einsetze, will sie neue Wähler begeistern. «Im Parlament wäre ich keine «Chnöpflitruckerin»: bei mir heisst es «liefere statt lafere.»
Aufrecht hat gleichzeitig auch von Patrick Jetzer, gewissermassen war er das Aushängeschild und der Mann der Partei mit der grössten Medienpräsenz, profitiert. Jetzt bekommt er in seinem eigenen Wahlkampf auch noch eine Parteikollegin zur Seite. Entsteht da neben dem Wahlkampf nicht auch noch ein Machtkampf zwischen den Politikern? «Nein. Es gibt keinen Konkurrenzkampf zwischen uns. Ganz im Gegenteil. Jetzer hat mich zur Kandidatur motiviert und ist mein Wahlkampfleiter.» Daher sei seine Kandidatur als Unterstützung für Ketterer zu sehen.
«Nicht Aufgabe des Staates, die Bevölkerung zu lenken»
«Meine Wahlparole mit Aufrecht heisst: Demokratie von unten nach oben – mitentscheiden statt bloss mitreden. Das ist auch das politische Anliegen, das mir wichtig ist.»
Weitere Anliegen sind beispielsweise die Verkehrspolitik, wie bereits angetönt. «In meinem Projekt ‚Stadtstrasse’ befasse ich mich seit diesem Frühjahr mit der Verkehrspolitik und begegne ihr momentan mit Referenden und Bevölkerungsvorstössen. Störend finde ich vor allem, dass Massnahmen ergriffen werden, um das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung zu lenken.» Die Leute sollen durch Schikanen, hohe Parkgebühren und Fahrverboten dazu «motiviert» werden, das Velo oder den ÖV zu benutzen. «Es ist nicht die Aufgabe des Staates, das Verhalten seiner Bevölkerung zu lenken. Wie weit kann und darf das noch gehen?»
Auch zum Autobahnanschluss, der dritten Röhre und die generell «desaströse finanzielle Situation» der Stadt St.Gallen hat die Politikerin eine Meinung, doch sei es hier noch zu früh, diese zu kommunizieren. «Das wäre vorgegriffen.» Daneben nimmt die Webentwicklerin auch eine aufklärende Funktion wahr: «Ein weiterer Ansatz von mir ist die Öffentlichkeitsarbeit. Ich stelle immer wieder fest, wie wenig die Bürger überhaupt mitbekommen von den politischen Entscheiden. Wenn sie dann negative Auswirkungen feststellen, ist es längst zu spät, um sich dagegen zu wehren – sofern sie überhaupt den Weg dazu kennen. Ich kann hier eine Art Wächterin sein, die frühzeitig Alarm schlägt.»