«Arbeiten ist mehr als nur Geld verdienen. Die Arbeit trägt wesentlich zu unserer Selbstwirksamkeit und unserem Selbstvertrauen bei», erklärt Stephan Melliger, Case Manager am Kantonsspital Winterthur und Leiter des CAS Case Management an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Die Arbeit kann jedoch schnell einmal zur Belastung werden. Zeitdruck, Unklarheit der Arbeitsaufgaben und Konflikte am Arbeitsplatz sind Faktoren, die dazu beitragen können.
Tatsächlich schätzen mehr als ein Viertel der Befragten des Job-Stress-Indexes 2022 ihre gegenwärtige Arbeitssituation als belastend ein. Während der Covid-Pandemie kamen Unsicherheiten wie Jobverlust, finanzielle Engpässe oder familiäre Probleme zu den gängigen Stressoren hinzu. Viele Erwerbstätige kommen laut Stephan Melliger auch mit der wachsenden Leistungsorientierung und der zunehmenden Eigenverantwortung in der Arbeitswelt nicht mehr zurecht.
Neuer Rekordstand der Arbeitsausfälle
Wird die berufliche oder persönliche Belastung zu gross, kann es zu Arbeitsausfällen kommen. Im letzten Jahr waren die Arbeitsausfälle aufgrund von psychischen Erkrankungen rund 20 Prozent höher als im Vorjahr. Dies bestätigt Andreas Heimer von der Firma PK Rück gegenüber dem «NZZ Magazin».
Seine Auswertung basiert auf Daten von rund 250’000 Angestellten aus 6000 Unternehmen. Ein Nachholeffekt nach der Covid-Pandemie sei auszuschliessen, es handle sich um einen strukturellen Trend. Hinzu kommt, dass die Fälle gravierend sind: Im Durchschnitt beträgt die Dauer der Absenz elf Monate.
Überforderung der Betroffenen reduzieren
Bei gesundheitsbedingten Langzeitabsenzen kann das betriebliche Case Management zum Einsatz kommen. Dessen Ziel ist es, erkrankte oder verunfallte Mitarbeitende wieder in den Beruf zu integrieren. Als Case Manager ist Stephan Melliger mit der betroffenen Person direkt in Kontakt und koordiniert alle involvierten Akteurinnen und Akteure. Von Versicherungen über Fachärztinnen und Fachärzte bis hin zu Anwältinnen und Anwälten – schnell einmal sind viele verschiedene Personen an einem Fall beteiligt.
«Das ist eine reine Überforderung für eine Person, die gesundheitlich eingeschränkt ist. Allein kann sie das nicht bewältigen, da braucht es Unterstützung», erklärt Stephan Melliger. Hinzu kommt, dass die beteiligten Akteure ihre eigenen Interessen verfolgen, was für die betroffene Person jedoch nicht immer ersichtlich sei. Das Case Management hilft der Person, dieses System zu verstehen und erarbeitet gemeinsam mit ihr die nächsten Schritte.
Die 100-prozentige Verantwortung für seine Klienten übernimmt Stephan Melliger jedoch nicht: «Wie auf einem Kreuzfahrtschiff ist die betroffene Person der Kapitän oder die Kapitänin und ich bin der erste Offizier.» Als Case Manager nimmt er eine vielfältige Rolle ein: vom Vermittler bis zum Anwalt, der für seine Klientin oder seinen Klienten Partei ergreifen muss. Jede Person ist anders und braucht daher laut dem erfahrenen Case Manager auch mehr oder weniger Unterstützung: «Das finde ich persönlich sehr spannend. Es ist aber auch eine Herausforderung, allen Klientinnen und Klienten gerecht zu werden.»