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Stadt St.Gallen
30.07.2022

Mundart-Kolumne «Hopp Sanggale!»

Bild: pd
Susan Osterwalder-Brändle erforschte während Jahren den St.Galler Dialekt. Mit «Hopp Sanggale!» entstand ein Werk mit rund 3000 Mundartbegriffen und Redensarten, die zum Teil schon in Vergessenheit geraten sind. Auf stgallen24 leben sie wieder auf. Heute: «uustue».

Uustue; Verb; Bedeutung: ernten, ausreissen, Fleck entfernen

Heute widme ich mich in meiner Mundartkolumne einem Wort mit dem – in der St.Galler Mundart – eher spärlich vorkommenden Anfangsbuchstaben «U».

Das Wort «Uustue» beinhaltet dafür gleich für mehrere komplett unterschiedliche Bedeutungen.

Zum einen steht uustue für das Ernten von Gemüse. «Ich ha hüt d Härdöpfel uustue» – heisst soviel wie: «Ich habe heute die Kartoffeln geerntet; sie aus der Erde ausgegraben.» Das gleiche gilt für alle anderen Dinge, die man aus der Erde ausgräbt, insbesondere auch für das Jäten von Unkraut. Ebenfalls wird der Begriff uustue verwendet, wenn zum Beispiel Zeitungen ausgetragen (uustue) werden.

Eine weitere Bedeutung betrifft ein unappetitlicheres und vieldiskutiertes Thema: Das Ausbringen von Gülle, welches in ländlichen Gebieten immer wieder umstritten ist, weil sich vor allem zugezogene StädterInnen über die Geruchsimmissionen aufregen und immer wieder hartnäckig beschweren.

Wenn «Gülle uustue» wird, entstehen immer Gerüche, die nur mit sehr viel Fantasie und Toleranz als frische Landluft empfunden werden… Eine weitere Bedeutung von uustue, ist das Entfernen von Flecken. Wer «e Mose uustuet», entfernt einen unerwünschten Fleck oder macht zumindest einen Versuch, dies zu tun. Denn in Bezug auf hässliche Flecken auf unserer Kleidung, bedarf es mitunter des einen oder anderen Tricks aus Grossmutters altem Wissensschatz.

Und da gab es doch noch etwas, was Menschen meiner Generation im Zusammenhang mit «Fehler oder Flecken verschwinden lassen», also mit uustue, zu tun hatten. Das war zum einen der «Tintenkiller» – heute (ja, es gibt ihn tatsächlich noch!) auch als Tintenlöscher oder Tintentod bekannt – mit welchem man geschickt allfällige, mit dem Fülli verursachten Fehler und Flecken (Mose, Tolgge) in Schulheften unsichtbar machen konnte.

Und zum anderen das Korrekturband. Das dürften viele nicht mehr kennen, war es doch vor allem im Zeitalter der Schreibmaschinen willkommener Retter in der Not.

Meine ersten Tastenkunststücke vollbrachte ich in den Sechzigerjahren noch auf Opas geradezu antiker «Underwood Typewriter». Ein schwarzes, steinzeitliches Ungetüm auf einer dicken, grauen Filzmatte. Rutschte man auf den runden gstabigen Tasten beim Tippen aus, kriegte man die Finger fast nicht mehr aus der metallenen, hochgestellten Tastatur.

Ich liebte das Geräusch des Tastenanschlags, dieser alten «Underwood» - der «Oma» aller Schreibmaschinen, mit der ich meine ersten Geschichten aufschrieb. Ich bedaure heute noch, dass sie irgendwann einem Umzug zum Opfer gefallen ist und spurlos verschwand…

Der letzte Gedichtband von Lars Gustafsson, einem der bekanntesten schwedischen Schriftsteller, der 2016 verstorben ist, war eben diesen alten Schreibmaschinen, respektive einer Zeit gewidmet, "als man die Menschen noch denken hörte", wie er selber zu sagen pflegte. Der Gedichtband, «Etüden für eine alte Schreibmaschine», erzählt von der Beobachtung alltäglicher Dinge bis hin zu den letzten Fragen, die den Schriftsteller beschäftigten. Da geht es um das Klappern einer anachronistischen Schreibmaschine oder um veritable Lobeshymnen auf den schwedischen Sommer.

Heute würde man sagen über Dinge, die «oldschool» sind. Daneben finden sich philosophische Betrachtungen: über den Wunsch "zu sehen, wie mein Zimmer aussieht, wenn ich es nicht sehe", die Frage, wie es ist, in der Hölle anzukommen, und was man im Paradies tun darf und was nicht. Schreibmaschinenschreiben gehörte sicher dazu.

Bei den damals «neueren» Schreibmaschinen in den Siebzigern, die mit einem – kompliziert einzulegenden – Farbband funktionierten, befand man sich ebenfalls beinahe auf verlorenem Posten, wenn man am Ende eines Dokumentes beim Schreiben einen Fehler machte. Da war das Korrekturband eine wirklich segensreiche Erfindung. Praktisch der Tintenkiller auf der Walze! Mittels Korrekturband war es möglich, den falsch geschriebenen Text noch einmal zu übertippen und den Fehler auszumerzen.

Wer wie ich, in seinen journalistischen Anfängen, jederzeit und überall seine geliebte Hermes-Baby (die kleine orange, tragbare Kult-Schreibmaschine) dabei hatte, die nicht über ein Korrekturband verfügte, korrigierte seine Fehler mit «Tipp-Ex Streifen» oder «Tipp-Ex Flüssig», was schlussendlich für ein fürchterliches Schriftbild sorgte.

Ach, was waren das noch für schöne Zeiten! Alles lief etwas langsamer, gemächlicher, zugegeben mitunter aufwändiger. Um einen Text in der Redaktion abzuliefern, gabs zwar bald Faxgeräte. Ich schaffte mir, da schon in den Siebzigern als Freie Journalistin und Publizistin im Homeoffice tätig, so ein Faxgerät an und war damit sehr privilegiert. Wollte man als Privatperson ein Fax verschicken, musste man dies ansonsten auf einer Poststelle tun.

Die Fotos zu einem journalistischen Beitrag, mussten persönlich im Fotolabor des jeweiligen Printmediums abgegeben werden. Redaktionssitzungen fanden ebenfalls noch persönlich statt. Der Zeit entsprechend in richtig verrauchten, verqualmten Sitzungszimmern. Ich erinnere mich, dass auch die Redaktion der damaligen «Wiler Zeitung» dermassen zugequalmt war, dass man die umtriebige, fantastische Redaktorin (blond, schlank, gross, kompetent, mit wunderschönem Lächeln) beim Eintreten nur schemenhaft am Fenster erahnen konnte!

Wenn ich bedenke, dass ich heute unter anderem als Redaktionsleiterin einer komplementärmedizinischen Zeitschrift nur digital mit meinen RedaktorInnen verkehre, was nicht nur während Corona komfortabel war und ist, da unser Redaktionsteam auf verschiedene europäische Länder verteilt ist, jedoch auch viel zwischenmenschliche Kontakte verunmöglicht, frage ich mich fast, was denn nun besser war.

Die guten alten Zeiten hatten (vor allem menschlich gesehen) schon auch ihr Gutes. Wenngleich ich eines mit Sicherheit nicht vermisse: zigarettenverqualmte Sitzungszimmer und Redaktionen!

Susan Osterwalder-Brändle, stgallen24-Kolumnistin
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