Gleitig steht für rasch, umgehend, schnell
Manchmal frage ich mich schon, warum Menschen trotz weniger Arbeitszeit – verglichen mit früher, viel gestresster sind und ständig herumhetzen. An der Kasse blitzen böse Blicke auf, wenn man die Kreditkarte nicht gleich findet, im Feierabendstau wird gern mal gehupt, wenns nicht schnell genug vorwärts geht. Autofahrer rasen wie blöd, die Mittellinie schneidend, mit dem Handy in der Hand – so dass einem als entgegenkommende Automobilistin Angst und Bange wird.
Warum um alles in der Welt, wird so gerast? Warum wollen alle so schnell vorwärts kommen? Wer so durchs Leben rast, verpasst die Hälfte, hat nur halb soviel von allem, was man geniessen könnte. Denn Geniessen und jeden Moment des Lebens auszukosten, hat nichts mit Geschwindigkeit zu tun. Das scheint man zu ignorieren, wenn man jung ist. Cheibe schad, denn, wenn man nicht mehr so jung ist, hat man zwangsläufig nicht mehr so viel Zeit.
Man geniesst sie vielleicht gerade deshalb mehr. Doch wie oft hören wir: Chasch mer no rasch..., chönntsch no schnell…, als gäbe es kein morgen mehr. Ähnlich läufts da bei mir im Garten. Ein Phänomen, das jedes Jahr im April los geht. Da tauchen die ersten kleinen, jungen spanischen Wegschnecken, die ekligen Rossschnegge auf. Die werden leider ganz schnell gross und fett. Und noch ekliger. Sie mögen nun denken: «Was haben Schnecken mit Geschwindigkeit und Stress zu tun?» Viel, sage ich ihnen. Sehr viel.
Schnecken sind sogenannte «Gleiter» und definitiv keine Hetzer. Sie gleiten mit ihrer Fusssohle auf dem von ihnen produzierten Schleimband bedächtig über den Untergrund, wobei die Beschaffenheit des Untergrundes Einfluss auf die Geschwindigkeit hat. Zum Beispiel muss die Schnecke auf sandigem Untergrund, wesentlich mehr Schleim produzieren, um gleiten zu können. Was zu längeren Pausen führt und den Aktionsradius verkleinert. Bei idealen Bedingungen erreicht eine Weinbergschnecke, die zwar grösser ist als die Nacktschnecke, dafür aber noch ein grosses Haus mitschleppt, eine Höchstgeschwindigkeit von 3 Metern pro Stunde also 0.003 km/h. Also ich sage ihnen, im Garten ist das schon eine ganz beträchtliche Strecke! Denn von einem Salat zum anderen sind es nur einpaar Zentimeter. So fallen in einer einzigen Regennacht ganz schön viele Setzlinge den fleissigen Schleimern zum Opfer.
Schnecken sind mit Fressen unglaublich schnell. Und ich habe danach den Stress. Ich glaube zwar nicht, dass das Mundartwort gleitig (schnell) vom Gleiten der Schnecken abgeleitet wurde. Aber sie sind jedenfalls verdammt gleitig unterwegs. Wobei wir bei den zahlreichen Mundart-Alternativen für die Begriffe «schnell, rasch, umgehend» wären. Denn neben gleitig gibts noch andere Varianten. Wann haben sie zum Beispiel das letzte Mal den Satz gehört: «Etz gohts denn aber hantli is Bett!»
Oder: «I mues hurtig go Brot hole. I gang no husch go poschte! Me sind schneidig de Berg uuf! Da isch etz aber rassig gange. D Chind sind weidli/ wäädli wieder hei cho. Bisch tifig i de Schuel gsi! S Gwitter isch zügig cho.» Oder eben: «Ha die cheibe Schnegge gleitig abglese.»
Nach dem Ablesen pflegen vorallem ältere Gärtner die Schnecken mit der Gartenschere zu zerschneiden. Barbarisch. Zugegeben, eine effektivere Methode gibts wohl kaum. Leider bringe ich das nicht übers Herz. Ich schmeisse rund 120 Schnecken - an einem einzigen Sommerabend! - jeweils ennet dem Bach in die nahegelegene Wiese. Nehmen sie den Weg zurück über die Brücke, sind die Viecher in schlappen acht Stunden wieder da und es bleibt ihnen noch knapp die halbe Nacht, um hantli, wäädli, hurtig und tifig ihr Unwesen in meinem Garten zu treiben. Soll mir also keiner mehr etwas von Schneckentempo sagen!