Scheese (weiblich) steht für dumme, weibliche Person / Kinderwagen, Puppenwagen
«Du bisch e tommi Scheese!», oder «Wa han i Scheese etz do för en Seich gmacht!» das kommt den über 50-jährigen wohl noch relativ oft über die Lippen.
Ein gebräuchliches, nicht wirklich bösgemeintes «Schimpfwort.» Den Begriff Scheesewage hört man dagegen eher selten, war er meist nur noch für einen ganz bestimmten Typ eines Kinderwagens oder Puppenwagens gebräuchlich. Beim Kinderwagen sehe ich da zum Beispiel den guten alten «Wisa-Gloria» noch lebhaft vor mir; den hochbeinigen mit den grossen Metallrädern und dem hochgezogenen Führungsgriff oder den kleinen, eiförmigen aus schillerndem Metall, mit faltbarem Lederdach. (wenn sie googeln, kommt garantiert auch bei ihnen das Aha-Erlebnis!) Heute sieht man praktisch nur noch diese hässlichen (zugegeben funktionalen) Autositzli auf Rädern, genannt «Buggys», die von joggenden oder sonstwie gehetzten jungen Müttern oder Vätern vor sich hingeschoben werden. Scheesen gibt es unter den Kinderwagen kaum mehr, nur noch unter den weiblichen Zweibeiner* innen.
In Deutschland existiert im Berlinerischen die Scheese sehr wohl noch. Die Bedeutung dürfte wohl am ehesten französischen Ursprungs sein. Die englische Sprache hatte, als sich das typische Berlinerische im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte, noch keine wichtige Bedeutung. Anders verhält es sich beim französischen Wort „la chaise“, der Stuhl - wobei im übertragenen Sinne die Kutsche sozusagen als fahrbarer Stuhl herhalten muss. In vielen Beschreibungen wird «Chaise» sozusagen als die etymologische Kinderstube der Scheese betrachtet. Wahrscheinlicher ist aber die Variante, nach welcher der in Berlin ansässige Hugenotte Philippe de Chieze, ein Techniker, einen abgefederten Reisewagen konstruierte, die damals sehr geschätzte „Berline“. Diese Kutsche nannten die Berliner nach ihrem Konstrukteur Chieze in ihrer Aussprache Scheese. So handelt es sich, wenn ein Berliner von der Scheese spricht, in der Regel, um seinen fahrbaren Untersatz, also sein Auto.
Von einer «chaise» ist im übrigen auch der Weg zum schaukelnden Kinderwagen nicht mehr weit. Zu Jeremias Gotthelfs Zeiten (1797-1854) bemühte man noch die französische Schreibweise, zum Beispiel das «Chaisli». Das ist heute ebenfalls eine umgangssprachliche Seltenheit geworden.
Doch wie komme ich gerade auf den Begriff Scheese für die heutige Kolumne?
Kürzlich musste ich an einer Ampel, die gerade auf Rot geschaltet hatte, anhalten. Auf der anderen Strassenseite betrat eine Mittsechzigerin mit ihrem etwa fünfjährigen Enkelkind den Fussgängerstreifen. Ich beobachtete die beiden beim Überqueren der Strasse, während sich aus dem Autoradio ein bassbetonter Achzigerjahre-Hit in meine Ohren bohrte. Da fiel mir auf, was das kleine Mädchen für einen Puppenwagen vor sich her schob. Ein kleines, altes Scheesewägeli wie wir es nannten, mit Holzrädern; der Wagenaufbau aus geflochtener Weide. Darin warm eingepackt ein altmodisches Bäbeli mit gestricktem Chäppli.
Ich war gefesselt und entzückt zugleich und fühlte mich für einpaar Sekunden zurückversetzt in meine eigene Kindheit. Exakt das gleiche Scheeseli, fristet sein Dasein bei mir im Keller. Das letzte Mal gebraucht, als damals zwei ganz kleine Büsi bei uns einzogen, (pardon, Kitten!…) zum Herumchauffieren in der Wohnung und zu Erheiterung sämtlicher Besucher, die sich mit «Jöö» und «Jee - wie herzig» überschlugen.
Wollte man die alten Scheeseli entsorgen, reichte ein kleines Feuerchen oder man liess sie im Garten mit Kräutern bepflanzt langsam und umweltschonend vor sich her verrotten. Doch mein Scheesewägeli ist noch ganz. Ob der mittlerweile fast zwanzigjährige Kater immer noch seine Freude daran hätte? Es käme auf einen Versuch an...
Die Holzräder sind zwar etwas blass geworden und knarren – aber alles funktioniert noch. Nix bunt, nix Plastik, keine zweitklassige Ware aus China, die schon nach zweimaligem Gebrauch auseinander fällt und irgendwo darauf wartet, in einer Kehrrichtverbrennung unter Freisetzung giftiger Dämpfe zu Tode zu schmelzen oder für die nächsten 500 Jahre erfolglos aufs natürliche Verrotten wartet.
Die kleinen Holzräder (ja, ich musste das Fenster runterlassen, um das Geräusch noch einmal zu hören) rumpelten beruhigend, wenn auch etwas unrund über den Asphalt und das Bäbeli wurde gehörig durchgeschüttelt.
Doch alle drei machten einen zufriedenen Eindruck. Ich auch. Danke, für den kleinen, entzückenden Moment der Erinnerung in einer verrückten, kalten Zeit, in der kleine Mädchen mit Bäbis in Holz-Scheesewägeli nicht mehr en vogue sind.