Eine in St.Gallen wohnhafte Frau beschuldigte einen 53-jährigen Mann sie in der Nacht vom 24. auf 25. Februar 2021 in einem Hotelzimmer während fünfeinhalb Stunden vergewaltigt zu haben. Am Dienstag stand der Schweizer vor dem Kreisgericht St.Gallen.
Am Abend des 24. Februars habe die Frau zufällig an der Bushaltestelle auf den Beschuldigten, mit dem sie bis Ende 2020 eine sexuelle Beziehung geführt hatte, getroffen. Gemeinsam mit einer Freundin begaben sie sich zu dritt ins Hotelzimmer, wo sie Alkohol konsumierten. Die Freundin legte sich auf eine Luftmatratze schlafen, die Frau begab sich gemäss Anklageschrift ins Bett und der Mann habe ihr gefolgt. Sie hätten vereinbart, sich wie «Bruder und Schwester zu verhalten».
Keine Verletzungen nachgewiesen
Die Frau schilderte vor dem Kreisgericht St.Gallen, dass der Angeklagte ihren Kopf mehrmals brutal gegen die Zimmerwand schlug, sie auszog, vaginal und anal über fünfeinhalb Stunden lang vergewaltigte. Während der gesamten Zeit soll er sie am ganzen Körper, insbesondere ihren Busen und ihre Klitoris gekniffen haben. Die Frau hätte mehrmals deutlich gesagt, dass sie das nicht möchte und habe gewinselt. Als er von ihr abliess, soll er gemäss ihren Aussagen auf den Teppich onaniert haben. Gesehen habe sie das zwar nicht, aber sie ging davon aus. Zum Samenerguss sei der Mann nicht gekommen.
«Er ist sexsüchtig und hat Drogen und Potenzmittel genommen», sagte die Frau vor Gericht, als der Richter sie danach fragte, wie es sein könne, dass der Mann während der ganzen Zeit einen erigierten Penis hatte. Die Freundin habe von den beschriebenen Szenen nichts mitbekommen. Nach dem Vorfall sei die Frau nach eigenen Aussagen auf die Toilette gegangen und habe «Vorne» stark geblutet. «Meine ganzen Schuhe waren voller Blut. Sie stehen noch heute bei mir in der Wohnung», so die Frau unter Tränen vor Gericht.
Am 27. Februar 2021 wurde das mutmassliche Opfer rechtsmedizinisch untersucht. Dabei konnten keine Verletzungen, die auf die Tat zurückzuführen sind, festgestellt werden. Der Richter wollte von der Frauen wissen, wie sie sich das erklären könne, wenn sie doch so fest geblutet hätte. «Sie haben mich gar nicht richtig untersucht, aber ich weiss, was passiert ist», so die Frau. Weiter führte sie aus, dass sie seit der besagten Nacht stark leidet, mehrmals in psychiatrischer Behandlung war und zwei Mal versuchte, sich das Leben zu nehmen.
«Aus medizinischer Sicht nicht möglich»
Der Beschuldigte zeigte sich im Gegensatz zur Klägerin während der ganzen Verhandlung sehr schweigsam. Er bestritt alle Vorwürfe und sagte, dass es nie zu einer sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung kam. «Die Geschichte von der Frau ist erstunken und erlogen», sagte sein Verteidiger. Es sei nicht möglich, dass ein Mann über fünf Stunden lang einen erigierten Penis hat– erst recht nicht, wenn er Alkohol konsumiert hat. Auch das Gutachten spreche dafür, dass die Geschichte nicht stimme. Die Befunde der Rechtsmedizin können weder zeitlich noch morphologisch zugeordnet werden. Obwohl das Hotel hellhörig sei, habe keiner der Hotelgäste etwas von der angeblichen Tat mitbekommen.
Die Frau leide an Wahnvorstellungen, konsumiere viel Alkohol und Drogen, weshalb ihre Aussagen laut der Verteidigung nicht glaubwürdig seien. So habe sie beispielsweise ihre Freundin, die im Hotelzimmer war, des Diebstahls beschuldigt und später die Anzeige zurückgezogen. Weiter gab es weder in der Wohnung der Frau noch im Hotelzimmer Hinweise auf die Tat. «Zusammengefasst ist die Geschichte so unrealistisch, dass sie nicht stimmen kann», sagte der Verteidiger und forderte einen Schadensersatz von 1'000 Franken für seinen Mandaten.
«Das weibliche Geschlechtsorgan kann schnell heilen, Rissverletzungen können innert Tagen zusammenwachsen. Es ist daher durchaus möglich, dass sich Hämatome erst später bilden. Sie hat mehrmals detaillierte Aussagen zum Tathergang gemacht und glaubhaft geschildert was ihr widerfahren ist. Man muss beachten, was ein Strafverfahren für ein Opfer bedeutet. Sie musste sich sehr überwinden, ihre Aussagen immer wieder zu machen. Das bedeutet viel Scham und Belastung. Das macht man nicht einfach so», sagte die Anwältin der Privatklägerin und verlangte eine Genugtuung von 15'000 Franken für die Frau. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von 38 Monaten für den Angeklagten.
Zu viele Zweifel führen zu Freispruch
Das Gericht sprach am Dienstagmittag den Angeklagten der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung frei. «Der Staatsanwalt muss im Zweifel anklagen, das Gericht muss im Zweifel freisprechen. Das Gericht muss nicht beurteilen, welche Aussagen etwas glaubwürdiger als die anderen sind, sondern der Massstab sind die unüberwindbaren Zweifel an den tatsächlichen Voraussetzungen des Sachverhalts. Es war lange die Rede von dem unglaublichen Stehvermögen des Angeklagten ohne Samenerguss. Endgültige Zweifel beseitigen aber das Gutachten», so der Richter in seinen Erläuterungen.
Und weiter: «Wenn man zwei Tage nach den Übergriffen nichts findet, dann sind da unüberwindbare Zweifel, dass er ihren Kopf an die Wand geschlagen habe, so wie die Klägerin das beschrieben hat. Es reicht klar nicht für eine Verurteilung, weil klar zu viel Zweifel bestehen. Das heisst nicht unbedingt, dass es nicht anders war, aber der Anklagesachverhalt konnte sich so nicht zugetragen haben. Es fehlt jeglicher Sachbeweis», so der Richter in seinen Erläuterungen.
Ausserdem wurden beide Zivilklagen – Genugtuung und Schadensersatz – abgewiesen.