Folge 7: Action am Thorenball.
Am Schmutzigen Donnerstag war Kommissar Häfeli kolossal beschäftigt, mit den Vorbereitungen für den Fasnachtsball im Restaurant Blaues Kreuz und mit seiner Rolle für die Theateraufführungen vom kommenden Freitag und Samstag: Sodom und Gomera im Tröckneturm. Das Auswendiglernen des Textes bereite ihm noch einige Mühe – und Sorgen. Zudem standen einige Pendenzen an: Ausschlafen. Vorschlafen. Vorbereiten des Kostüms. Rasieren. Schminken.
Häfeli verschlief den ganzen Nachmittag, den frühen Abend. Als er auf die Uhr schaute war 21.30 Uhr vorbei. Das Telefon läutete erneut, Lieblingsnachbar Hugelshofer: «Wo steckst denn du? Die Party ist in vollem Gang, und ich bin bereits da und dort tätig. Am Ball. Zweihändig. Wann kommst denn du endlich dahergeschneggelt, erst nach der Demaskierung? Gib dir en Schupf, los jetzt!»
Fluchend kleidete er sich um und machte sich auf den Weg in den Westen der Stadt. Mit Frida, seiner roten Vespa, mit Mantel und Helm. Saukalt war es, die Strassen glänzten silbrig-weiss. Glatteis in Sicht. Musste das sein?
Im Entrée des Hotels Blaues Kreuz beim Bahnhof Winkeln schaute Häfeli zuerst nochmals die zur Auswahl stehenden farbigen (Zwangs-)Masken an. Es eilte ihm gar nicht, in den schwül heissen Saal hineinzudrängeln. Also: Zehn Gesichter von vermeintlich oder tatsächlich wichtigen Sankt Galler Persönlichkeiten, überraschend paritätisch ausgewählt, und mit einem Kurz-Kommentar versehen standen zur Wahl. Irgendwie läppisch, das Ganze, dachte Häfeli. Das konnte ja heiter werden. Trotzdem war er gespannt darauf, welche Maske am häufigsten verkauft und somit gewinnen würde. Zur Wahl standen unter anderem der Stadtpräsident mit seinen nicht realisierten Leuchttürmen, der St.Galler Gesundheitsdirektor, eine Unbekannte Unholdin oder die St.Galler Bratwurstprinzessin usw. Bereits im Foyer begegneten ihm einige seltsame Figuren. «Bist du’s Chraie?» fragte er leise und trat nahe an die Person heran. «Hau bloss ab du Lüstling», klang es dumpf unter der Maske hervor. Eine männliche Stimme? Unklar. Die Person trug ein blaues Hanswurst-Kostüm und Turnschuhe. Oder war’s eine Frau, das Parfüm roch recht süsslich, eine Hanswurstin? Als er sich wieder nach dem Hanswurst umschauen wollte, war dieser verschwunden.
Die Hitze im Saal war erdrückend, die Mischung aus Parfüm aller möglichen Provenienzen, Schweiss, Bier, Lust und weiss der Herrgott was noch grossartig. Erdrückend ebenfalls der Lärm, die Schunkelmusik der Immerfeuchten Mülltaler aus dem Vorarlberg, die grossartig aufspielten.
Gelächter, Geschwätz, Gekicher. Geplärre. Geschunkel.
Ausgelassene Stimmung. Ein Spiel. Friedlich. Aber laut. Klar. Überall.
Irgendwas vibrierte in seiner Hosentasche. Doch bevor er das Handy hervorklauben konnte, war die Verbindung zusammengebrochen. Er zog sich auf die Toilette zurück und wollte zurückrufen. Unterdrückte Nummer. Plötzlich hörte er eine ihm bekannte Stimme sagen: «Hallo Pussybärchen, schön dass du da bist. Wie siehst du denn heute aus?» Die Stimme seiner Assistentin, Annegret Wetterstein.
«Wie ein Pussybärchen halt.» (…).
Der Kommissar stürzte sich wieder ins Gewühl, mit seinem Tiroler-Gwand, der zu kurzen Lederhose, dem spitzen grauen Filzhut. Da und dort glaubte er, jemanden an der Stimme zu erkennen, Hugelshofer und Kraienbühl, oder am Parfüm: Kolleginnen aus dem Büro, die ehemalige Klassenlehrerin seines Sohnes oder gar eine Stadträtin? Meist täuschte er sich. Was ihn allerdings sehr erstaunte, wie zutraulich viele, vermutlich weibliche Maskenträger an seinen nackten Beinen und der Lederhose herumfummelten, seinen Po berührten, den spitzen Hut streichelten. Oder in seine Hosenträger griffen und diese spicken liessen. Irgendwie übergriffig. Immer wieder.
Häfeli als Lustobjekt, wenn er das Kraienbühl erzählte? Der würde sich totlachen.
Häfeli beschloss, nie mehr in kurzen Lederhosen herumzulaufen.
Auch nicht an der Fasnacht.