Öhrli ist ein hauchdünn ausgewalltes Fastnachtsgebäck mit Puderzucker
Schon beim Betreten der Bäckerei freute ich mich auf meine wohlverdiente Zugabe zum Zvierikafi. «Ich hett no gern Öhrli», bat ich die Bäckereiverkäuferin, nachdem sie mein Brot umständlich eingepackt hatte. Es war eine Stiftin, wie ich anschliessend auf ihrem Anstecker erkennen konnte. Leicht verständnislos und unsicher versuchte sie wohl meinen Blick zu lesen und herauszufinden, auf welchem Produkt meine Augen gerade ruhten. Doch mein Blick schweifte gedankenverloren im Verkaufsraum umher und erst, als keine Reaktion vom Gegenüber kam, sah ich mich gezwungen, das Wort Öhrli zu wiederholen, um gleich darauf zu merken, dass meine Bestellung kaum zielführend war. «Fastnachtschüechli» korrigierte ich alsbald, worauf sich ihr Blick entspannte und sie dankbar zum Multipack neben der Verkaufstheke griff. Ich war ein bisschen erstaunt. Eigentlich hatte ich frische, selbstgebackene Öhrli erwartet, doch die Verpackung war die gleiche, wie bei Migros oder Coop. Naja, immerhin gab es frische Schenkeli. Und dieses Wort verstand die Bäckerei-Stiftin auch sofort.
Ich wunderte mich eigentlich ein bisschen, dass Schenkeli nicht schon längst aufgrund allfälliger sexistischer Hintergedanken, zum politisch inkorrekten «No-go» erklärt wurden. Doch die im Fett ausgebackenen und genauso kalorienreichen Schenkeli kennt man nach wie vor, während das gute, alte St.Galler Öhrli aus den Köpfen beinahe verschwunden ist. Und erst recht in Vergessenheit geraten ist vermutlich das Wort Chnüüblätz welches man früher als Synonym für das Öhrli verwendete. Im Bernbiet jedoch noch immer noch als Chneublätz bekannt.
Warum der Name lange als Bezeichnung für die hauchdünnen Teig-Kästlichkeiten galt, ist der traditionellen Herstellung geschuldet.
Das Öhrli-Backen war seit je her eine ziemlich heikle Sache. Die Zusammensetzung der Zutaten für den Teig muss haargenau stimmen, damit die Öhrli oder eben Chnüüblätz richtig geformt werden können und nicht kleben. Und das geschah in der Regel – daher auch der Name – auf einem Leinentuch über dem Knie der erfahrenen Bäckerin und Hausfrau. Der Teig wurde in Stücke geschnitten und mehrfach übers Knie gezogen, um einen hauchdünnen Teigblätz zu erhalten.
In der Schweiz werden übrigens um die Fasnachtszeit rund 50 Millionen Fasnachtschüechli gegessen, der überwiegende Teil davon stammt aus den Industriebäckereien von Coop und Migros. Wer nur diese kennt, hat keine Ahnung, wie die selbstgemachten schmecken. Früher war es im ganzen Land gang und gäbe, die zarten Teigfladen selber zu backen, stolz tischte man das Gebäck auch Gästen auf. Ihren Ursprung haben die Fasnachtschüechli im Mittelalter: Vor der 40-tägigen Fastenzeit wurde die Bevölkerung dazu angehalten, ihren Vorrat an Eiern, Milch und Schweinefett aufzubrauchen. Eine Gelegenheit, nochmals so richtig kulinarisch zu sündigen. Wie die anderen Fasnachtsgebäcke werden auch die «Öhrli» schwimmend in Fett ausgebacken - heute Kokosfett, früher Schweinefett. Dieses wurde im Volksmund auch Schmutz genannt. Daher der Name «Schmutziger Donnerstag», der mit Schmutz, Unrat, Unsauberem so gar nichts zu tun hat.
Meine Grossmutter (übrigens die letzte unseres Stammes, die sich in unserer Familie noch persönlich den Mühe des Öhrli-Backens mit Leidenschaft hingab) produzierte jeweils einen beachtlichen Stapel des unnachahmlichen, wunderbaren Fastnachtsgebäcks, der immer viel zu schnell schrumpfte. Doch nicht umsonst nennen die Westschweizer unsere Öhrli «Merveilles» - kleine Wunder! Das Wunder beim Öhrli-Essen wäre bei mir, wenn ich die Köstlichkeiten ein Mal ohne fremde Hilfe geniessen könnte. Leider tritt das nie ein. Kaum habe ich die Verpackung aufgerissen (und mache ich das noch so leise), stehen zwei vierbeinige Schlemmermäulchen vor mir und zwei dunkle Augenpaare schmachten mich an und scheinen zu sagen: «yummy... Öhrli!»
Das eine mit wedelndem Schwanz, das andere mit bebenden Schnurrhaaren...