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Stadt St.Gallen
16.12.2021

VBSG fahren wieder Diesel – wegen Fahrleitungsgegnern

Schönwetterbusse: Die neuen Batteriegelenktrolleybusse haben im Winter eine zu geringe Reichweite
Schönwetterbusse: Die neuen Batteriegelenktrolleybusse haben im Winter eine zu geringe Reichweite Bild: VBSG
Weil verschiedene Hausbesitzer den St.Galler Verkehrsbetrieben nicht erlauben, Fahrleitungen an ihren Fassaden anzubringen, kann das Netz nicht vollendet werden. Deshalb müssen die VBSG wieder mit den alten Diesel- statt mit den neuen Batteriebussen fahren.

Es tönt wie ein schlechter Scherz: Weil die neuen Batteriegelenktrolleybusse der VBSG eine zu geringe Akkukapazität haben, um bei kaltem Wetter die ganzen fahrleitungsfreien Strecken autonom zu fahren, werden sie bis im Frühling aus dem Verkehr gezogen und durch alte Dieselbusse ersetzt.

Diese wurden glücklicherweise noch nicht wie geplant ins Ausland verkauft. Publik gemacht hat die Schildbürgerei das «Tagblatt». Die VBSG selbst hatten darüber vornehm geschwiegen.

Problem 1: Zu kleine Akkus

Die Batteriebusse können zwar ohne Fahrleitungskontakt fahren – aber nicht allzu weit. Zwischendurch müssen sie durch Kontakt zur Fahrleitung immer wieder aufgeladen werden, um dann die Strecken ohne Oberleitungen autonom fahren zu können.

Das klappt bei warmen Temperaturen problemlos, wenns kälter wird, aber nicht. Denn die Hälfte der Akkuenergie wird benötigt, um den Bus zu beheizen und Geräte mit Strom zu versorgen.

Betroffen sind die Linien 3 (Abtwil-Heiligkreuz), 4 (Abtwil-Wittenbach) und 6 (St.Georgen-Heiligkreuz).

Problem 2: Zu halsstarrige Anstösser

Insgesamt sind noch 4,5 km nicht elektrifiziert. Das möchten die VBSG so rasch als möglich nachholen, dürfen aber nicht: Weil sich einige Anstösser weigern, an ihrer Hausfassade Haken für die Befestigung zuzulassen, ist das Projekt blockiert.

Die VBSG wollen gemäss Tagblatt die Probleme mit den Widerständlern immer noch im Gespräch lösen. Sollten keine Einigungen erzielt werden, bliebe noch der Weg übers Bundesamt für Verkehr, welches das Nutzungsrecht der VBSG für die Anbringung der Fahrleitungen erzwingen lassen könnte.

Jeweils über 80 Prozent der St.Galler Stimmberechtigten haben übrigens den beiden Etappen der VBSG-Flottenerneuerung zugestimmt. Darin enthalten waren der Ausbau des Fahrleitungsnetzes auf den Linien 3, 4 und 6 sowie total 35 Batteriegelenktrolleybusse, von denen seit Anfang 2021 die ersten auf den St.Galler Strassen unterwegs sind – oder besser: waren.

Die alten Dieselbusse fahren bei jedem Wetter Bild: VBSG

Schönwetterpolitik

Dass die VBSG bei der Beschaffung der neuen Batteriegelenktrolleybusse nicht daran gedacht haben, dass es im Winter auch mal kälter wird in St.Gallen und deshalb vielleicht etwas mehr Akkukapazität vonnöten ist als im Frühling, Sommer oder Herbst, passt ins Bild der romantisch verklärten Gallusstadt als klimaneutrales Paradies.

Aber vielleicht haben sie ja auch einfach angekommen, die paar Kilometer fahrleitungsfreier Strecke seien problemlos zu elektrifizieren. Denn immerhin haben fast 80 Prozent der St.Galler Stimmbürger 2020 dem «Klimaartikel» zugestimmt, mit dem die Stadt bis 2050 klimaneutral werden soll.

Falsch gedacht: Klimaschutz ist prima, solange er die anderen betrifft. Sollte man aber selbst einen Beitrag leisten, bleibts oft bei Lippenbekenntnissen.

Ins gleiche Bild passt die naive Vorstellung von St.Gallen als «Velostadt» – sobald der erste Schnee fällt, ist es mit dem munteren Trampeln vorbei. Ein Winter kann bei uns auch schon mal vier oder fünf Monate dauern. Und wer glaubt, dass die Sekretärin bei Schnee und Eis ins Büro oder gar der Handwerker mit dem Lastenvelo zum Kunden pedalt, ist mehr als blauäugig.

Fast noch ärgerlicher als der VBSG-Irrtum ist aber der hartnäckige Widerstand einiger Hausbesitzer, für die das Anbringen eines Hakens an ihrer Fassade offenbar ein grösseres Problem darstellt. Oder geht es ihnen vielleicht nur darum, den VBSG Geld für ihr «Entgegenkommen» abzuluchsen?

Wie dem auch sei: Offenbar wird auch in der Gallusstadt gerne Wasser gepredigt und Wein getrunken. Klimaschutz ja – aber bitte nicht vor meiner Haustüre!

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