Mit der Annahme der Ausschaffungsinitiative im Jahr 2010 wollten die Stimmbürger erreichen, dass ausländische Straftäter konsequenter aus der Schweiz ausgewiesen werden. Seit 2016 sind die entsprechenden Bestimmungen in Kraft.
Trotzdem fällt die Vollzugsquote je nach Kanton sehr unterschiedlich aus, und viele Landesverweise bleiben unerledigt. Verschiedene Faktoren verhindern eine konsequente Umsetzung.
Fehlende Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer
Der wichtigste Hinderungsgrund ist die mangelnde Kooperation der Herkunftsstaaten. Einige Länder verweigern die Ausstellung notwendiger Reisedokumente oder erkennen ihre eigenen Staatsangehörigen nicht an.
Ohne gültige Papiere kann keine Ausschaffung erfolgen. Besonders schwierig gestaltet sich der Vollzug gegenüber Staaten, die grundsätzlich keine zwangsweisen Rückführungen akzeptieren oder nur sehr zögerlich mit den Schweizer Behörden zusammenarbeiten.
Völkerrechtliche Schranken und Schutzpflichten
Die Schweiz ist durch internationales Recht verpflichtet, niemanden in ein Land zurückzuführen, in dem Folter, unmenschliche Behandlung oder ernsthafte Gefahr für Leib und Leben drohen.
Diese Vorgaben gelten unabhängig vom Strafmass. Gerichte müssen deshalb in jedem Einzelfall prüfen, ob eine Ausschaffung zulässig ist. Für bestimmte Länder bestehen faktisch Rückschiebestopps, was den Vollzug verunmöglicht.
Unklare Identität und fehlende Dokumente
Viele Betroffene verfügen über keine Ausweispapiere oder geben unvollständige bzw. falsche Personalien an. Solange die Identität nicht zweifelsfrei geklärt ist, kann kein Staat zur Rücknahme verpflichtet werden. Das führt häufig zu langjährigen Verzögerungen.
Lange Rechtsmittelverfahren
Landesverweise können bis vor Bundesgericht und vereinzelt sogar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angefochten werden. Solange diese Verfahren laufen, dürfen Ausschaffungen nicht vollzogen werden, was die Umsetzung verzögert oder zeitweise blockiert.
Unterschiedliche kantonale Praxis
Die Vollzugsquote variiert stark zwischen den Kantonen. Während einige Kantone sämtliche Landesverweise umsetzen, liegen andere deutlich zurück. Gründe sind unterschiedliche Prioritäten, Ressourcen, organisatorische Abläufe und politische Rahmenbedingungen.
Weshalb es eine Härtefallklausel gibt – obwohl das Volk sie nicht beschlossen hat
Bei der Umsetzung der Ausschaffungsinitiative war das Parlament verpflichtet, die neuen Vorgaben so auszugestalten, dass sie sowohl mit der Bundesverfassung als auch mit internationalen Verpflichtungen vereinbar bleiben. Die Initiative selbst enthielt jedoch keinen detaillierten Gesetzestext.
Die Härtefallklausel wurde eingeführt, weil:
-
die Verfassung eine Prüfung der Verhältnismässigkeit zwingend verlangt.
Auch eine Volksinitiative kann dieses Grundprinzip nicht ausser Kraft setzen. Behörden und Gerichte müssen in jedem Fall prüfen, ob eine Massnahme in der konkreten Situation angemessen ist. -
internationale Menschenrechtsabkommen eingehalten werden müssen.
Die Schweiz ist völkerrechtlich verpflichtet, den Schutz vor Folter, Menschenrechtsverletzungen oder familiärer Zerrüttung zu berücksichtigen. Eine vollständig automatische Ausschaffung wäre in vielen Fällen nicht zulässig gewesen. -
ein praxistaugliches Gesetz geschaffen werden musste.
Ohne Härtefallklausel hätte die Schweiz wiederholt Gerichtsentscheide kassiert. Das Gesetz wäre in der Anwendung kaum stabil gewesen und hätte laufend korrigiert werden müssen.
Die Härtefallklausel wurde somit nicht dem Volk vorgelegt, sondern als «notwendiger Bestandteil der gesetzeskonformen Umsetzung der Initiative» eingeführt. Sie soll sicherstellen, dass der Vollzug weder gegen die Verfassung noch gegen internationales Recht verstösst.
Allerdings zeigt die bisherige Praxis, dass die Härtefallklausel (zu) häufig angewendet wird – oft deshalb, weil Gerichte familiäre Bindungen und persönliche Interessen der Täter stärker gewichten als den Schutzanspruch der Gesellschaft und die Interessen der Opfer.